Polizeieinsatz beim "Marsch der Millionen"

Caracas · 50 Tage wird in Venezuela schon demonstriert, immer mehr Menschen begehren gegen den Lebensmittelmangel und eine drohende Diktatur auf. In einer deutschen Kolonie marschiert das Militär auf.

Caracas (dpa) 50 Tage nach Beginn der Massenproteste gegen eine drohende Diktatur sind in Venezuela erneut Hunderttausende auf die Straßen gegangen. Bei heftigen Ausschreitungen wurden laut den Behörden allein in Caracas rund 50 Menschen verletzt. In der Hauptstadt setzte die Polizei beim "Marsch der Millionen" massiv Tränengas ein. Es war eine der größten Kundgebungen gegen den sozialistischen Präsidenten Nicolás Maduro bisher, eine riesige Menschenmenge zog über eine Autobahn durch Caracas.
Seit April starben bei Protesten und Plünderungen 48 Menschen, es kam zu über 2000 Festnahmen. Die Opposition wirft Maduro vor, das von einer dramatischen Versorgungskrise erschütterte Land mit den größten Ölreserven in eine Diktatur zu verwandeln. Sie fordert Neuwahlen.
Maduro verlieh dem Militär Sondervollmachten, er wirft der Opposition vor, mit US-Unterstützung einen Putsch vorzubereiten und warnte den amerikanischen Präsidenten Donald Trump, seine "schmutzigen Hände" von Venezuela zu lassen. Zudem zog er zuletzt einen fragwürdigen Vergleich: "Wir sind die neuen Juden des 21. Jahrhunderts", meinte Maduro zu Anhängern. "Wir tragen keinen gelben Stern, sondern haben ein rotes Herz", sagte der bis 2019 gewählte Präsident und versprach: "Wir werden kämpfen."
Auch in der von deutschen Einwanderern gegründeten Stadt Colonia Tovar kam es erstmals zu größeren Ausschreitungen. Der Ort mit seinen 20 000 Einwohnern wurde bis auf weiteres unter Militärkontrolle gestellt. Bei Protesten gegen Maduro war dort zuvor der Sitz der Nationalparkbehörde angegriffen worden, Autos gingen in Flammen auf. Zunächst wurde mit Straßenblockaden versucht, ein Einmarschieren des Militärs zu verhindern. Die Nationalgarde soll ein 13-jähriges Mädchen angefahren haben. Bilder zeigten Tränengaswolken vor dem malerischen Stadttor - Colonia Tovar erinnert mit Fachwerkhäusern und Einkehrmöglichkeiten wie dem Café Muhstall an den Schwarzwald. Der Ort liegt eine Stunde von Caracas entfernt. "Das ist eine sehr angespannte Situation", sagte eine Mitarbeiterin des Hotels Bergland. Das Militär sei mit vielen Lastwagen angerückt und kontrolliere die Ortseingänge. Die Hotels seien wegen der gefährlichen Lage geschlossen.
Der Ort ist bei Tagestouristen beliebt. Deutsche Wurst und Brot sind der Renner, aber die dramatische Versorgungskrise geht auch an Colonia Tovar nicht spurlos vorbei. Es kommen weit weniger Gäste als früher. Gegründet wurde die Siedlung von 392 Badensern, die 1842 vom Kaiserstuhl hierhin kamen. Bis heute haben sich die alemannische Kultur und der Dialekt der Heimat erhalten. Die Kolonisten waren von Venezuela angeworben worden, der spätere Präsident Manuel Felipe de Tovar schenkte ihnen das Land, auf dem sie Obst und Gemüse anbauten.

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