Psychotherapie mit dem Skalpell

TRIER. (ae) Muss man das eigene Aussehen als unabänderliches Schicksal hinnehmen? Nein, suggerieren derzeit einige Fernsehshows. Sie bieten ihren überwiegend jugendlichen Zuschauern ein vermeintlich einfaches Patentrezept: Die Verwandlung vom hässlichen Entlein in einen schönen Schwan mittels Schönheitsoperation. Wie sollen Eltern mit einem solchen Wunsch ihres Nachwuchses umgehen?

Schönheitsoperationen boomen in Deutschland. Etwa 300 000 Eingriffe im Jahr werden vorgenommen, jeder vierte davon an jungen Leuten. An erster Stelle steht das Absaugen von Fett, gefolgt von Nasenkorrekturen. In den Fernsehshows werden derzeit sogar Menschen gezeigt, die sich zum Ebenbild eines von ihnen verehrten Stars modellieren lassen. Klaus Hrynyschyn, plastischer Chirurg am Trierer Elisabethkrankenhaus, sieht dieses Phänomen als Teil einer gesellschaftlichen Entwicklung: "Jungen Menschen wird durch Werbung und Medien vorgegaukelt, Schönheit bedeute Erfolg. Der Druck fängt schon da an, wo das richtige Outfit entscheidet, ob man anerkannt ist oder nicht." Bei Jugendlichen, die sich in der sensiblen Phase der Identitätssuche und Orientierung befänden, könne dieser Druck erhebliche Selbstwertprobleme auslösen, sagen auch Mitarbeiter der Lebensberatungsstelle Wittlich. Solche Probleme führten in extremen Fällen zum Wunsch nach völliger Veränderung durch einen dauerhaften Eingriff. Klaus Hrynyschyn betont, dass seriöse Chirurgen grundsätzlich über körperliche und psychische Folgen aufklärten und häufig zu anderen Lösungen rieten: "Das Risiko ist einfach sehr hoch, deshalb operieren wir nur, wenn mit großer Sicherheit ein Benefit erzielt wird. Gewissermaßen ist das Psychotherapie mit dem Skalpell." Ein Fall aus seiner Praxis beschäftigt ihn noch heute: "Ein Zwanzigjähriger kam zu mir in Begleitung seiner Freundin. Er zeigte mir das Foto eines Stars und wünschte sich dessen Aussehen. Die Freundin unterstützte ihn dabei. In einem mehrstündigen Gespräch riet ich ihm ab. Nach einiger Zeit fand ich einen Artikel im ,Spiegel', der die Geschichte einer völlig verpfuschten Schönheitsoperation an einem jungen Mann beschrieb. Es war der Betreffende, der sich später bei mir meldete, um sich ein Gutachten über seine Entstellungen anfertigen lassen zu wollen." Die Berufsbezeichnung ästhetischer- oder Schönheitschirurg ist nicht geschützt. "Das ruft unseriöse Geschäftemacher auf den Plan, die den Eingriff teilweise sogar auf Kredit anbieten", sagt Hrynyschyn. Von den möglicherweise drastischen und vor allem irreversiblen Folgen schweigen die Fernsehshows und zeigen ein schöngefärbtes Bild. Doch sie treffen auch auf gesunde Skepsis, bei Annika (16) zum Beispiel, die gar nichts davon hält. "Irgendwie sehen die Leute doch alle furchtbar aus, richtig künstlich. Ich denke, dass jeder so aussehen sollte, wie er ist." Auch Ina Becker, die den Intrinet-Wettbewerb "Schönste der Region" gewann, meint: "Auf die Ausstrahlung kommt es an. Schönheit ist relativ. Ich hätte Verständnis dafür, dass jemand sich operieren lässt, der unter wirklich gravierenden Mängeln psychisch sehr stark leidet. Aber für ein Ideal unters Messer legen? Nein." Jutta Streit, Mutter einer Heranwachsenden, sagt: "Wenn meine Tochter mit so einem Wunsch käme, würde ich vermuten, dass sie große Probleme hat. Dann würde ich eher eine Psychotherapie in Betracht ziehen." "Es gibt oft andere Lösungen", sagt selbst der Chirurg. "Eine Therapie oder ein erfolgreich absolviertes Programm zur Gewichtsabnahme etwa können nachhaltig Selbstvertrauen schaffen und dazu beitragen, dass man sich annimmt."

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