Rettende Pillen für den atomaren Ernstfall

Trier · Das Land verteilt vier Millionen Jodtabletten an die Kommunen. Die Tabletten sollen bei einem Reaktorunfall eingenommen werden.

 Jodtabletten sollten nur im Ernstfall eingenommen werden, und zwar erst dann, wenn von den zuständigen Behörden dazu aufgefordert wird. Foto: dpa

Jodtabletten sollten nur im Ernstfall eingenommen werden, und zwar erst dann, wenn von den zuständigen Behörden dazu aufgefordert wird. Foto: dpa

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Trier Er ist zwei Stockwerke tief und liegt unter der Sporthalle des Gymnasiums im rheinhessischen Alzey: der ehemalige Regierungsbunker des Landes. Von dort aus wäre im Kriegs- und Krisenfall, etwa bei einer Atomkatastrophe, das Land regiert worden. Die gesamte Landesregierung hätte in der 1000 Quadratmeter großen Anlage - aufgeteilt auf Räume und Schlafplätze - Schutz gefunden und sich dort bis zu 30 Tage aufhalten können.
Bis 1992 war der Regierungsbunker in Betrieb. Ganz aufgegeben hat das Land ihn aber nicht. In einem Raum stehen auf mehreren Paletten unscheinbare Pappkisten. Darin lagern vier Millionen Jodtabletten. Sie sollen die Bevölkerung im Falle etwa eines Reaktorunfalls davor schützen, das dann freigesetzte Jod aufzunehmen und danach an Schilddrüsenkrebs zu erkranken.
Kommenden Samstag wird der Lagerraum im Bunker geräumt. Nicht aber, weil die Jodtabletten nicht mehr gebraucht werden. Statt bisher zentral in Alzey gelagert und im Katastrophenfall von dort aus verteilt zu werden, sollen in Zukunft die Tabletten dezentral vorgehalten werden. "Die Tabletten werden entsprechend der Bevölkerungszahl an die Landkreise und kreisfreie Städte verteilt", erklärt Nikolai Zaplatynski, Sprecher der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) in Trier. Die Landesbehörde hat im Falle eines atomaren Unfalls die Einsatzleitung. Die Tabletten würden am Samstag von Feuerwehrleuten abgeholt und zu den Ausgabestellen, in der Regel Feuerwehrgerätehäuser, gebracht. Allein im Kreis Trier-Saarburg gibt es 38 solcher Ausgabestellen. Der Vorteil einer solchen dezentralen Lagerung der Tabletten liege darin, dass sie im Katastrophenfall schneller an die Bevölkerung verteilt werden könne, "da die Wege kürzer werden", sagt der ADD-Sprecher. "Werden die Jodtabletten zentral gelagert, wird viel mehr Personal für den Transport benötigt."
Da die Tabletten hauptsächlich aus Kaliumiodid, einem chemischen Salz, bestünden, gebe es auch kein Mindesthaltbarkeitsdatum dafür. Daher können die Medikamente jahrelang problemlos gelagert werden, ohne dass sie ihre Wirksamkeit verlieren.
Im Ernstfall, so Zaplatynski, würden die Tabletten an den Ausgabestellen von Feuerwehrleuten, Mitgliedern der Hilfsdienste oder Beamten an die Bevölkerung verteilt. Allerdings nur an Personen unter 45 Jahren. Bei Älteren besteht wohl, wenn sie Jod in einer solch hoch dosierten Form zu sich nehmen, die Gefahr einer Schilddrüsenüberfunktion. Diese Nebenwirkung schätzen Experten als schwerwiegender ein, als nach einem Strahlenunfall an Schilddrüsenkrebs zu erkranken.
Es sei geplant, dass jeder Bürger nach einem Reaktorunfall an der nächstmöglichen Ausgabestation seines Aufenthaltsortes die Tabletten erhalte, egal wo er wohne, sagt Zaplatynski. Niemand müsse dafür extra in seinen Heimatort fahren.
Während etwa in Luxemburg sich die Bürger in jeder Apotheke oder bei ihrer Gemeindeverwaltung die Jodtabletten besorgen können, verzichtet Rheinland-Pfalz darauf, diese direkt an die Haushalte zu verteilen. "Die Bevölkerung ist nicht jederzeit zu Hause, wenn die Tabletten einzunehmen sind, etwa Berufspendler", so der ADD-Sprecher.
Man könne auch nicht davon ausgehen, dass jeder die Tabletten ständig bei sich habe. Bei einer Verteilung im Ernstfall könnten zudem auch konkrete Hinweise auf die korrekte Einnahme gegeben werden.Extra: SO WIRKEN JODTABLETTEN


Durch die Einnahme der Jodtabletten nach einem atomaren Zwischenfall, bei dem radioaktives Jod freigesetzt wird, wird verhindert, dass der Körper das Jod aufnimmt. Dieses kann durch die Haut eindringen, eingeatmet oder durch verstrahlte Nahrung aufgenommen werden. Das Jod kann sich in der Schilddrüse absetzen und Krebs verursachen. Durch die Tabletten wird die Schilddrüse mit so viel nicht radioaktivem Jod versorgt, dass sie kein weiteres Jod mehr aufnehmen kann. Allerdings sollte das Medikament nicht vorsorglich eingenommen werden, sondern erst, wenn die Bevölkerung dazu aufgefordert wird.

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