Schön, dass wir mal drüber geredet haben

Unter dem Motto "Drehen wir am Rad?" luden die Berliner "Tageszeitung" und die Trierer Lokale Agenda 21 mit dem Medienpartner Trierischer Volksfreund zu einer Diskussion über den Umgang mit der Zeit ein. Das Rad wurde dabei zwar fröhlich gedreht, aber nicht unbedingt neu erfunden.

Trier. "Zeit macht nur vor dem Teufel halt", sang einst der philosophisch angehauchte Schlagerbarde Barry Ryan. Probleme mit dem Timing ließen auch die Diskussion im Casino "Chat Noir" etwas mühsam anlaufen. Taz-Chefredakteurin Bascha Mika fiel dem Zeitmanagement der Deutschen Bahn zum Opfer und steckte zwischen Köln und Trier fest. Und der als einheimischer Mitdiskutant eingeladene (laut Eigenbezeichnung) "Bildner" Jean-Marie Weber kam noch später als die Berlinerin - möglicherweise aufgrund der Malessen im Trierer Fahrradwege-System, das sich im Verlauf der Debatte als sein gewichtigstes Problem im Umgang mit der Zeit entpuppte.So konnte sich die als Moderatorin eingesprungene Taz-Redakteurin Ulrike Herrmann darauf konzentrieren, dem Politiker-Ehepaar Malu Dreyer und Klaus Jensen persönliche Bekenntnisse im Umgang mit der Zeit zu entlocken. Zum Beispiel jenes, dass sie bisweilen, um dem Mangel an gemeinsamer Zeit ein Schnippchen zu schlagen, bei wichtigen Sitzungen unterm Tisch heimlich SMS-Botschaften austauschen. Frau Dreyer räumte ein, auch schon mal Zeitmanagement-Seminare besucht zu haben, "Herr Dreyer", wie die Moderatorin den OB gelegentlich titulierte, sieht sich in dieser Hinsicht eher als Naturtalent. "Nein sagen können" sei die Voraussetzung dafür, die Kontrolle über die eigene Zeit zu behalten, meinten die Politiker unisono.Triers Soziologen-Legende Roland Eckert unternahm den vergeblichen Versuch, das Thema auf eine analytische Ebene zu heben, indem er die gewachsene "Zeitsouveränität" der Menschen hervorhob, die aber durch eine gegenläufige, zunehmende "Ausbeutung des Faktors Zeit" konterkariert werde. "Wo Konkurrenz besteht, wird Zeit knapp", postulierte Eckert, und verwies auf Manager und Politiker.Debatte nicht auf vertiefende Erkenntnisse ausgerichtet

Da hätte man anfangen können, zu diskutieren, aber auf Erkenntnisgewinn durch Vertiefung war die Diskussion nicht ausgerichtet. Stattdessen verbreitete Sexual-Psychologin Nelly Stockburger die These, Menschen, die Karriere machten, seien so entfremdet, dass sie gar keine Chance auf richtig guten Sex hätten. Leider versäumte die Moderation die Chance, diese spannende Frage am praktischen Beispiel der am Podium sitzenden Führungskräfte aus Politik, Wissenschaft und Journalismus zu verifizieren - die Taz ist halt auch nicht mehr so frech, wie sie mal war.Der inzwischen aufgetauchte Jean-Marie Weber gab eine faszinierende Einführung in seinen Kunstbegriff. Kunst mache man dann, "wenn einen rund um einen herum niemand mehr versteht". Er erwies sich dann im Laufe des Abends, auch wenn er den Begriff für sich ablehnte, als ausgeprägter Künstler. Ebenso wie Stockburger vertrat er die Auffassung, nur der komplette Ausstieg aus der bürgerlichen Existenz schaffe die Möglichkeit zum selbstbestimmten Umgang mit der Zeit.Die unterdessen gleichfalls eingetroffene Taz-Chefin Bascha Mika definierte für sich als maximale Freiheit, keine Termine zu haben, nicht einmal fürs Essengehen oder das Treffen mit Freunden. Verständlich für jemand, der jede Woche geschätzte 50 Daten im Kalender stehen hat.Vereinzelte Versuche aus dem Publikum, die Diskussion etwas stärker an die Lebensrealität von Nicht-Künstlern, Nicht-Professoren und Nicht-Politikern anzuknüpfen, fanden nur begrenzten Widerhall, etwa bei Malu Dreyer, die das Stichwort der "extremen Arbeitsverdichtung" folgenlos in die Runde warf. Ansonsten gab es am Podium ein fröhliches Aneinander-Vorbeireden, das zumindest zeitweise eine Art panoptikaler Unterhaltsamkeit entwickelte. Zum Beispiel, wenn Jean-Marie Weber über die "metaphysische Ebene des Phänomenalen" räsonierte oder über die "existenzielle Bedeutung des richtigen Zeitpunkts, das Fenster zu putzen"."Einfach mehr lachen"

Den stärksten Beifall des Abends heimste eine Stimme aus dem Publikum ein, die als probates Mittel zur Gewinnung von Zeitqualität empfahl, "doch einfach mehr zu lachen". Ein Konsens von geradezu Florian Silbereisenscher Tiefe. Das erinnerte ein bisschen an Kurt Tucholskys genialen Vorschlag, die soziale Frage dadurch zu lösen, dass alle Armen reich heiraten. Aber der meinte das ironisch.

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