Schlamperei ja, Betrug nein

Überraschendes Ende eines Mammut-Prozesses mit 100-seitiger Anklageschrift, 17 Verhandlungstagen und 69 Zeugen: Am Schluss konnten zwar Missstände nachgewiesen werden, aber keine Straftat.

Trier. Den vielleicht wichtigsten Satz sagte Richter Armin Hardt ganz am Ende seiner 75-minütigen, sorgfältig abwägenden Urteilsbegründung. Zum Zeitpunkt des Geschehens habe es in der Tierkörperbeseitigungs-Anstalt Rivenich ein "nicht mehr beherrschbares Chaos" gegeben, das zu einer "völligen Überforderung" für die Angeklagten geführt habe. Wer die Schuld von Geschäftsführer S. und seinen Mitarbeitern H. und Sch. beurteilen will, kommt nicht umhin, sich in das Jahr 2001 zurückzuversetzen. Es war der Höhepunkt der BSE-Hysterie, mit immer neuen Vorschriften und Sicherheitsmaßnahmen, die gerade im Bereich der Tierkörperbeseitigung kaum einen Stein auf dem anderen ließen. Die mehrfach verschärfte Abtrennung von Tierabfällen mit potenziellem BSE-Risiko stellte Schlachthöfe und Tierkörper-Verarbeiter vor erhebliche Probleme. Die Kennzeichnung solchen Risikomaterials (SRM) durch blaue Farbe sollte Irrtümer vermeiden. Aber in der Prax is war es so, dass aufgrund von Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung längst nicht alle SRM-Lieferungen blau eingefärbt waren. So kam es nach Einschätzung der Kammer dazu, dass über einen Zeitraum von 14 Monaten auch Gefährdungs-Abfälle unter den angeblich SRM-freien Tierteilen verarbeitet wurden - überwiegend zu Industriefett, vereinzelt zu Kosmetika. "Es gibt keinen Anhaltspunkt, dass irgendetwas davon in die Nahrungskette eingedrungen ist", so die beruhigende Erkenntnis des Gerichts. Dennoch wurden mehr als 8000 Tonnen falsch deklarierten Materials verkauft - was den Verdacht des Betruges begründete, der dem Trierer Strafverfahren zugrundelag. Aber genau da sah das Gericht "nicht mit der zur Verurteilung erforderlichen Sicherheit nachgewiesen", dass Geschäftsführer S. vorsätzlich gehandelt habe. Richter Hardt listete eine Reihe von Fällen auf, in denen sich S. sogar ausdrücklich um eine korrekte, Fehler vermeidende Abwicklung der Kadaver-Trennung bemüht habe. Im Laufe des Verfahrens habe sich "kein Anhaltspunkt" dafür ergeben, dass S. die eingerissene Praxis bewusst gekannt habe. Ein relevanter finanzieller Vorteil für ihn oder das Unternehmen - als mögliches Motiv hoch gehandelt - sei nicht entstanden, weil Tierfette mit und ohne SRM am zusammengebrochenen Markt gleichermaßen geringe Preise erzielt hätten.Seine beiden Fuhrpark-Mitarbeiter H. und Sch. hingegen wussten offenkundig, dass so manche Lieferung von den Schlachthöfen nicht den BSE-Sicherheitsmaßnahmen entsprach. Aber dass sie das Abkippen von Risikomaterial in die "SRM-freie" Verarbeitung zuließen, hatte offensichtlich mehr mit Überforderung als mit Betrugsabsicht zu tun. 70 Wochen-Arbeitsstunden, Dauerstress, Gesundheitsprobleme: So rekonstruierte das Gericht die damaligen Arbeitsbedingungen angesichts einer plötzlichen Flut von Tier-Resten, die von einem Tag auf den anderen als Risiko-Material firmierten. Appelle von H. und Sch., die Ausstattung an Personal und Fahrzeugen aufzubessern, verhallten ungehört. Das Gericht scheute sich nicht, die Missstände klar und ohne Scheu vor unappetitlichen Details aufzuzeigen. Aber ein Betrugsdelikt lasse sich daraus nicht nachweisen, und Verstöße gegen das Lebensmittelrecht seien "längst verjährt", erklärte der Vorsitzende Richter. In Richtung Staatsanwaltschaft, die Haftstrafen gefordert hatte und in Revision gehen könnte, betonte er aber auch, die Anklage sei nach den Vor-Ermittlungen "gerechtfertigt" gewesen. Doch eine Hauptverhandlung ergebe "eben manchmal ein anderes Bild als die Aktenlage".

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