"Sie hat die Familie verletzt"

Obwohl sie von ihm fast zu Tode geprügelt worden sein soll, schützt die 18-jährige Schwester ihren Bruder vor Gericht. Seit gestern muss sich der 22-Jährige wegen versuchten Totschlags vor dem Landgericht verantworten.

Trier. Ginge es nach der jungen Frau, wäre der Prozess schnell beendet. Oder er wäre erst gar nicht zustande gekommen. Angezeigt hat die 18-Jährige ihren vier Jahre älteren Bruder, der seit gestern auf der Anklagebank des Trierer Landgerichts sitzt, nämlich nicht. Und das, obwohl er sie im Juli fast erschlagen hätte, wie es in der Anklage heißt. Mit einem Backstein soll er der damals 17-Jährigen von hinten auf den Kopf geschlagen, die am Boden Liegende mehrmals ins Gesicht getreten, sie an den Haaren gezogen und gegen das Garagentor des elterlichen Hauses im Trierer Stadtteil Tarforst geschleudert haben. Man solle ihm ein Messer bringen, damit er sie umbringen könne, soll er auf Arabisch gesagt haben.

1996 kam der Älteste von vier Kindern mit seinen Eltern, seinem jüngeren Bruder und eben der Schwester vom Irak nach Deutschland. Die offenbar dort wohlhabende Familie ist geflüchtet vor der Drangsalierung durch das Terror-Regime des einstigen irakischen Diktators Saddam Hussein. Nachdem sein Vater als Soldat im ersten Irak-Krieg 1991 schwer verletzt wurde, anschließend desertiert ist und Monate lang untertauchen musste, fühlte sich der damals Fünfjährige für seine Mutter und Geschwister verantwortlich.

Vor allem kümmert er sich um seine kleine Schwester. Das änderte sich auch nicht, als die Familie nach Deutschland floh. Der Junge lernt schnell Deutsch, ist gut in der Schule, könnte sogar aufs Gymnasium gehen. Weil die Eltern Probleme mit der Sprache haben, wird ihr Ältester schnell zum Dolmetscher und zum Helfer im Alltag, bei Behördengängen, bei Schulproblemen der Schwester. Der 22-Jährige spricht immer von "wir" und "uns", wenn es um seine Eltern geht. Offenbar versteht er sich als Familienoberhaupt, als derjenige, der für den Zusammenhalt zuständig ist. So lässt sich vielleicht auch erklären, was in ihm vorgeht, als seine Schwester im April von zu Hause auszieht, weil sie den ständigen Streit mit ihrer Mutter satt hat. Von Schlägen ist die Rede, von Problemen wegen ihres Freundes. Sie sei einfach nicht mehr mit der Situation zurecht gekommen, sie habe es nicht mehr ausgehalten, sagt die sehr selbstbewusst auftretende junge Frau. Auch wenn man bei der Trierer Staatsanwaltschaft offiziell nichts mehr von einem versuchten Ehrenmord wissen will, spricht vieles dafür, dass der Bruder durch den Auszug seiner Schwester die Familienehre verletzt sah. "Durch das, was sie gemacht hat, hat sie die ganze Familie verletzt", sagt er. Er habe sie aber nicht töten, sondern ihr nur einen Denkzettel verpassen wollen. Dass er sie mit einem Backstein geschlagen habe, stimme nicht, sagt er bei seinem teilweisen und wortreichen Geständnis. Auch seine Schwester behauptet das, was ihr womöglich ein Verfahren wegen Falschaussage einbringt. Sie habe ein gutes Verhältnis zu ihrem Bruder, sie könne sich nicht vorstellen., dass er sie umbringen wolle. Fast scheint es so, als suche sie die Schuld für die Tat bei sich selbst. Offenbar will sie den Bruder nicht ins Gefängnis bringen und damit die Familie endgültig kaputt machen.

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