"Sie ist kein Tier"

TRIER. Weil sie ihren Sohn monatelang misshandelt haben sollen, stehen ab morgen die Eltern in Trier vor Gericht - mehr als vier Jahre nach dem Tod des Jungen.

Der kleine Richard wurde gerade einmal anderthalb Jahre alt. Im März 2000 fand ihn der Vater tot in seinem Kinderbettchen. "Mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein natürlicher Tod im Rahmen eines akuten Infektionsgeschehens", hieß es später im Obduktionsbericht und in einem zusätzlichen Gutachten. Dennoch wird Richards Eltern jetzt der Prozess gemacht - fast viereinhalb Jahre nach dem Tod des kleinen Jungen. Laut Anklage der Trierer Staatsanwaltschaft sollen die beiden 27 und 44 Jahre alten Angeklagten Richard monatelang seelisch und körperlich misshandelt haben. 23 Fälle werden der Mutter zur Last gelegt, drei Fälle dem Vater. "Haltlose Vorwürfe", sagt der Trierer Rechtsanwalt Walter Schneider, der die Mutter vertritt. Einer der brutalsten Übergriffe ereignete sich laut Anklageschrift im Februar 1999. Der Vater soll den damals sieben Monate alten Richard so heftig malträtiert haben, dass der rechte Oberschenkel des Jungen brach. Ins Krankenhaus hätten die Eltern den vor Schmerzen schreienden Sohn aber erst Tage später gebracht. Ähnlich gewalttätig soll auch die Mutter das von ihr angeblich nie gemochte Kind behandelt haben. Wurde der kleine Junge nachts wach und weinte, bekam er nach den Ermittlungen der Trierer Staatsanwaltschaft häufig Schläge. Zwei Mal soll die Mutter ihrem Sohn so große Essensstücke in den Mund gestopft haben, dass Richard daran fast erstickt sei. In einem Fall habe der Vater das Geschehen mit seiner Videokamera gefilmt, ein anderes Mal dem schon blau angelaufenen Jungen die Essensreste in letzter Sekunde aus dem Mund geholt. Etwas besonderes Perfides hatten sich die Eltern angeblich einfallen lassen, um nachts nicht von dem Geschrei des Kleinkindes geweckt zu werden: Richards Gitterbettchen war laut Staatsanwaltschaft mit Karton umwickelt; obendrauf hätten Matratze und Decke gelegen. Von "haltlosen Vorwürfen und Schlussfolgerungen" spricht dagegen der Rechtsanwalt der hauptangeklagten Mutter. "Das Kind ist nicht misshandelt worden, meine Mandantin ist unschuldig", sagt der Trierer Jurist Walter Schneider. "Richards Mutter ist kein Tier." Zwischen Anklage und Realität klafften Welten."Funktionierende Familie"

Laut Schneider handelt es sich bei dem angeklagten Ehepaar um eine "funktionierende Familie". Neben dem gestorbenen Sohn hätten die beiden noch vier gemeinsame Kinder, von denen drei nach Richards Tod geboren worden seien. Eines wachse in einer Pflegefamilie auf. "Wenn da wirklich etwas vorgefallen wäre, hätte man den Eltern die anderen Kinder doch längst abgenommen", meint der Trierer Rechtsanwalt. Der am Donnerstagmorgen beginnende Prozess stößt auf großes Medieninteresse. Mehrere Fernsehteams haben sich angemeldet. Für den ersten Verhandlungstag sind acht Zeugen und ein Rechtsmediziner geladen. Bei einer Verurteilung drohen dem Ehepaar laut Hardt bis zu 15 Jahren Haft.

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