So hätte er nie leben wollen

TRIER. Vorsorge für die letzte Lebensphase: Immer mehr Menschen legen in einer Patientenverfügung fest, welche medizinischen und lebensverlängernden Maßnahmen sie für sich ablehnen.

 Bedeutende Unterschrift: Die Patientenverfügung ist eine Vorsorge für die letzte Lebensphase.Foto: Marcus Stölb

Bedeutende Unterschrift: Die Patientenverfügung ist eine Vorsorge für die letzte Lebensphase.Foto: Marcus Stölb

Norbert Mohr zeigt keine Regung. Seit Monaten liegt er auf dem Bett, seine Augen scheinen ins Leere zu blicken. Der 47-Jährige wird künstlich ernährt, ein Luftröhrenschnitt bewahrt ihn vor dem Ersticken. Diagnose Wachkoma. Was Mohr noch wahrnimmt, weiß niemand. So wie auch niemand weiß, ob er je wieder zu vollem Bewusstsein zurückkehren wird. Nahezu nichts lässt darauf hoffen. Das Dahinsiechen immer gefürchtet

So hätte er nie leben wollen, ist sich seine Ehefrau sicher. Dahinsiechen, das habe ihr Mann mehr als alles andere im Leben gefürchtet. Doch selbst bestimmt leben - Mohr ist dieses Recht nun genommen. Und damit auch die Möglichkeit, das eigene Sterben zu beeinflussen. Denn Mohr hat versäumt, wovon immer mehr Bundesbürger Gebrauch machen: Sie verfassen eine persönliche Patientenverfügung, in der sie festlegen, welche lebenserhaltenden Maßnahmen sie für sich im "Ernstfall" ablehnen. Jeden kann es jederzeit treffen. Ob unheilbare Krankheit oder Unfall - Jugendliche sind ebenso betroffen wie ältere Menschen. Hätte Mohr in gesunden Tagen eine Patientenverfügung hinterlegt, er hätte allen Beteiligten das Leben und sich selbst das Sterben leichter gemacht. Als "eine Notwehraktion der Menschen gegen die Fortschritte der Medizin" bezeichnet Dr. Franz-Josef Tentrup die Patientenverfügung. Der Palliativmediziner weiß, wovon er spricht: Krankheitsbilder wie das des Wachkomas habe es vor wenigen Jahrzehnten "in diesem Ausmaß noch nicht gegeben". Will heißen: Notfall- und Intensivmedizin halten heute Menschen am Leben, die früher gestorben wären. Der Tod als Scheitern - viele Ärzte verinnerlichten im Zuge des medizinischen Fortschritts diesen Irrglauben. Hauptsache leben - das "Wie" kommt nach dem "Ob". Und dank Magensonden und Beatmungsgeräten lässt sich der Tod vertagen. In gesunden Tagen den Willen äußern

Doch die meisten Menschen wollen sich und ihren Angehörigen ein Dasein wie das von Mohr ersparen. Eine Patientenverfügung kann hier helfen, denn "jeder Mensch hat das Recht, eine medizinische Behandlung abzulehnen", stellt Tentrup klar. Hätte Norbert Mohr in gesunden Tagen verfügt, dass er, sollte er seinen "Willen nicht mehr bilden oder äußern" können, die künstliche Ernährung ablehnt, so hätten die Ärzte und Pfleger ihm keine Magensonde legen dürfen. Mit allen Konsequenzen. Soweit die Theorie, doch in der Praxis stellt sich die Situation für Angehörige und behandelnde Ärzte oft schwieriger dar. Das gilt im Besonderen bei Patienten, die sich überhaupt nicht mehr mitteilen können. Denn hätte Mohr vor vielen Jahren schon eine Patientenverfügung verfasst, so müsste nun ermittelt werden, ob sein damals geäußerter Wille zum jetzigen Zeitpunkt noch gilt. Josef Hoffmann vom Hospizverein Trier rät deshalb, nach Abschluss einer Patientenverfügung diese immer wieder zu aktualisieren, mit Datum und erneuter Signatur. Das zeige den Ärzten, wie ernst es dem Patienten mit seiner Verfügung war. Auch Tentrup hebt die Bedeutung der "Ernsthaftigkeit" hervor und empfiehlt, die Verfügung selbst zu verfassen oder aber in Formularen zusätzliche handschriftliche Anmerkungen zu machen. Auch die Wahl einer Vertrauensperson als Betreuer, der im Bedarfsfall für einen spricht, sollte wohl überlegt sein. "Ein Hausarzt, zu dem man Vertrauen hat, wäre die ideale Besetzung", ist Tentrup überzeugt. Schließlich sei dieser auch beim Abfassen der Verfügung ein kompetenter Partner und habe die nötige Distanz, den Willen des Patienten auch durchzusetzen. Genau, doch nicht zu detailliert sollte eine Verfügung verfasst sein. Für den behandelnden Arzt müsse der Wille des Patienten jedenfalls klar ersichtlich werden. Wer sich für eine Verfügung entscheidet, sollte sich auch über seine Einstellungen zum Leben im Klaren sein, fordert Tentrup. Und "manche stellen es sich zu leicht vor", weiß Hoffmann aus Erfahrung. Experten beraten bei TV -Telefonaktion

Doch das Abfassen einer Patientenverfügung setze auch voraus, "dass man sich intensiv mit der Vorstellung des eigenen Sterbens auseinander setzt". Patientenverfügung ist auch Thema einer TV -Telefonaktion am Donnerstag, 18.12. Experten und Telefonnummern geben wir rechtzeitig bekannt. Weitere Informationen gibt es beim Hospizverein (0651/29191), den Sozialstationen sowie Betreuungsvereinen.

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