Sorgenkind Hauptschule

TRIER. Probleme gibt es in allen Schularten. In einer aber konzentrieren sie sich: der Hauptschule. Zu wenig Lehrer, immer mehr verhaltensauffällige Schüler, unkooperative Eltern, Schimmelpilze an den Wänden – die Zustände sind teilweise unhaltbar. Im Gespräch mit dem TV packen drei Hauptschullehrer aus Trier und Umgebung aus.

„Irgendwann wird es krachen“, prophezeit einer der drei Hauptschullehrer, die sich bereit erklärt haben, dem TV aus ihrem Alltag zu erzählen. Wie bisher könne es an den Hauptschulen jedenfalls nicht weitergehen. Dass die drei anonym bleiben wollen, um ihre Schulen und sich selbst zu schützen, verwundert allenfalls bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie zu erzählen beginnen. Wir nennen die Lehrer im Folgenden Frau Meier, Frau Müller und Herr Schulze. Das größte Problem, da ist sich das Trio einig, ist der Personalmangel. Seiner Schule fehlten 30 Lehrerstunden pro Woche, berichtet Schulze – das ist mehr als eine ganze Stelle. „Und es gibt Einrichtungen, an denen es noch viel mehr ist.“ Zu wenig Personal , zu viel UnterrichtsausfallWie kommt das? „Es gibt einfach keine Hauptschullehrer“, sagt Meier. Inzwischen würden zahlreiche Kräfte ohne zweites Staatsexamen eingestellt – um einen Job zu machen, für den die beste Qualifikation gerade gut genug sein müsste. Da neben den ohnehin fehlenden Lehrern auch kein Ersatz für kranke Kollegen eingeplant sei, würden an ihrer Schule ständig Klassen oder Kurse zusammengelegt, berichtet Meier. Und Schulze sagt, es komme vor, dass er eine Mathematikstunde vorbereitet habe und dann Sozialkunde unterrichten müsse. Der Gedanke, der dahintersteht: Unterrichtsausfall verdecken. Die Stunden bringen den Schülern nichts, tauchen aber in keiner Statistik auf. Problem Nummer zwei: „Die soziale Situation ist nicht gerade besser geworden“, erzählt Schulze. Zum einen mischten die vielen Schüler, die von höheren Schulen oft mitten im Schuljahr an die Hautschule wechselten, die Klassen auf. Viele dieser jungen Leute hätten jahrelang nur Frustration erlebt. Oft kämen Schüler nicht wegen Leistungsunvermögens, sondern weil sie verhaltensauffällig seien, sagen die drei. Während höhere Schulen sich ihre Schüler quasi aussuchen könnten, müssten die Hauptschulen jeden nehmen. „Wir haben ein Kind, dass vorher in einem Heim war, dort in einer sehr kleinen Gruppe lernte und speziell betreut wurde. Es landete irgendwann bei uns mit der Begründung, dort sei es nicht tragbar“, berichtet Meier. Verhaltensauffällige Kinder beanspruchen überdurchschnittlich viel Zeit – und weil die anderen Schüler merken, dass das Aus-der-Reihe-Tanzen Aufmerksamkeit bringt, steigt die Unruhe. „Es gibt auch viele nette Schüler“, sagt Meier. „Denen gegenüber macht man sich fast schuldig.“ Müller fügt hinzu: „Wir wundern uns oft, dass die Eltern nicht auf die Barrikaden gehen.“ Die Eltern – auch sie machen den Lehrern Sorgen. „Es gibt so gut wie keine problematischen Schüler, an deren Eltern man herankommt“, berichtet Müller. Alle drei Hauptschullehrer beklagen eine weit verbreitete soziale Vernachlässigung von Kindern. Zum Mittagessen gebe es Chips und Schokolade, man unternehme nichts gemeinsam, oft stünden Eltern morgens nicht einmal mit dem Nachwuchs auf. Immer häufiger komme das auch in „besseren Kreisen“ vor. Die Problem-Liste geht weiter. Nummer vier: die Integration ausländischer Kinder. „Sie kommen an die Hauptschule zum Deutschlernen“, sagt Schulze. Meier berichtet: „Es gibt ein paar Förderstunden, dann kommen die Schüler in normale Klassen. Und was macht ein Kind, das nichts versteht? Es tanzt auf den Bänken!“ Womit wir wieder beim Thema Unruhe wären. In manchen Klassen seien freie Unterrichtsformen schlicht unmöglich, sagen die Lehrer. Sie arbeite oft mit dem Tageslichtprojektor, weil sie sich nicht zur Tafel umdrehen könne, berichtet Meier – die übrigens keinesfalls den Eindruck macht, es mangele ihr an Durchsetzungskraft. Doch auch in ihrem Unterricht ging schon mal der Projektor zu Boden und wurde die Tafel heruntergerissen. Die Belastung der Hauptschullehrer ist nicht nur in psychischer Hinsicht groß. Wie andere Lehrer auch studieren sie zwar Schwerpunktfächer, müssen aber alles unterrichten. Und dass sie in diesem nur bedingt attraktiven Job deutlich weniger verdienen als beispielsweise Gymnasiallehrer, bringt sie auf die Palme: „Die haben lernwilligere Schüler, weniger Unterrichtsstunden, bessere Aufstiegsmöglichkeiten und bessere Rahmenbedingungen.“Unter die letzte Kategorie fällt der Zustand der Gebäude – auch er zieht den Zorn der Lehrer auf sich. Die Stadt Trier vernachlässige ihre Schulen und baue lieber eine Großraumhalle, schimpft Meier. In ihrer Schule sei ein Klassenraum vom Gesundheitsamt als nicht benutzbar erklärt worden, weil die Schimmelpilz-Werte mehrfach erhöht gewesen seien. Der Unterricht dort habe trotzdem weitergehen müssen, denn im ganzen Gebäude gebe es keinen freien Raum, klagt Meier. Selbst der Filmsaal diene als Klassenzimmer, und wenn eine Klasse ein Video anschauen möchte, starte jedes Mal eine Umzugsaktion. „Und in manchen Räumen stehen die Tische nach den Tropfstellen der Decke.“ Neben den vielen netten Schülern, die es auch gibt – das betonen die drei immer wieder –, sei der einzige Lichtblick die gute Zusammenarbeit mit den Kollegen. „Der Leidensdruck schweißt zusammen“, sagt Müller. Und verhindert den großen Knall. Bisher.

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