"Stillstand ist keine Strategie"

TRIER/BERLIN. Professor Joachim Jens Hesse gilt als jemand, der Klartext redet. Der Leiter des Internationalen Instituts für Staats- und Europawissenschaften in Berlin fordert seit Jahren grundsätzliche Kommunalreformen in Deutschland.

Schon lange steht eine umfassende Kommunalreform auf der Agenda, aber es passiert wenig Substanzielles. Warum ist es so schwer, konkrete Schritte umzusetzen? Fehlt die Einsicht oder der politische Umsetzungswille?Hesse: Man muss den Kommunen zugestehen, dass sie als Erste auf die erkennbar werdenden Haushaltsprobleme reagierten und sich heute bemühen, ergebnisorientierter und kostengünstiger zu arbeiten. Allerdings sind die Reformenergien und der politische Wille sehr ungleich verteilt, auch und gerade innerhalb der kommunalen Familie. Wer liegt da vorn, und wo gibt es Nachholbedarf?Hesse: Vor allem die Kreise haben den Handlungsbedarf erkannt, während man sich in den Gemeinden mit Veränderungen noch schwer tut. Die Kunst besteht darin, nötige Veränderungen durchzusetzen, ohne den demokratischen Gehalt der Selbstverwaltung zu beschädigen. Ein Weg führt über verstärkte interkommunale Zusammenarbeit, ein anderer über Funktionalreformen... Inklusive Gebietsreformen?Hesse: Territoriale Erwägungen werden sich anschließen - ob man es will oder nicht. Die Bundesländer gehen mit unterschiedlichem Tempo und unterschiedlicher Intensität an die Sache heran. Wo gibt es aus Ihrer Sicht die meisten Fortschritte, die ernsthaftesten Bemühungen, die konsequentesten Ansätze? Hesse: Am konsequentesten waren und sind derzeit Baden-Württemberg und Niedersachsen. Während Baden-Württemberg nahezu alle Sonderbehörden auflöste oder - wo unverzichtbar - die Aufgaben den Regierungspräsidien und Landkreisen übertrug, hat Niedersachsen die Präsidien gänzlich abgeschafft und beschreitet den Weg in eine zweistufige Verwaltung. Eine sehr mutige, aber erfolgreiche Reform, die alle Länder, die noch Mittelinstanzen ausweisen, unter Rechtfertigungsdruck setzt. Es wurde auch höchste Zeit, das völlig übermöblierte deutsche Verwaltungssystem wirksam einzuschränken."An Kooperation führt kein Weg vorbei"

Sie haben auch in Sachen Rheinland-Pfalz Konzepte entwickelt. Sind Sie in irgendeine praktische Umsetzung eingebunden?Hesse: Nein, derzeit nicht. Ich habe ohnehin den Eindruck, dass das Land nach der Umwidmung der Regierungspräsidien in Struktur- und Genehmigungsdirektionen - funktional eher eine Umbenennung denn eine Reform - ein wenig vor sich hin dümpelt. Die Politik sagt, das sei auch besonders schwierig in einem solchen komplizierten Flächenstaat.Hesse: Natürlich gilt es, die Kleinteiligkeit des Landes in Rechnung zu stellen, nur ist Stillstand bei sich rapide verändernden Rahmenbedingungen keine sehr erfolgreiche Strategie. Ich vermute, dass die neue Landesregierung sich der auch im Ländervergleich deutlichen Verwaltungsprobleme wird annehmen müssen, unter Einbezug einer verstärkten Kooperation mit anderen Ländern - auch im hoheitlichen Bereich. Die "Föderalismus-Reform" hat den Ländern in vielen Bereichen mehr Kompetenzen gebracht, die sie unter den Stichworten Subsidiarität, Kompetenz vor Ort und föderaler Wettbewerb eingefordert hatten. Haben Sie den Eindruck, dass Bereitschaft besteht, in ähnlicher Weise auch Kompetenzen von den Ländern an die Kommunen abzutreten?Hesse: Kommt die Föderalismus-Reform, hängt ihr Erfolg sicher auch davon ab, dass der Aufgabenentflechtung zwischen Bund und Ländern eine solche im Länder-Kommunen-Verhältnis folgt. Und, folgt sie?Hesse: Die Ministerpräsidenten äußern sich hierzu unterschiedlich mutig, doch wird die Haushaltslage nachfolgende Reformen erzwingen. Bislang ist die Reform ohnehin noch unvollständig, ein Torso. So fehlt eine Einigung über die Finanzbeziehungen, bedarf es eines politischen Signals, unterhalb der Schwelle einer - politisch derzeit nicht konsensfähigen - Länderneugliederung kooperatives Verhalten einzuüben. Und die Kommunen müssen zusehen und abwarten?Hesse: Den Vertretern des kommunalen Bereichs wäre anzuraten, auch von Bund und Ländern das einzufordern, was man ihnen abverlangt.d Die Fragen stellte unser Redakteur Dieter Lintz. Mit diesem Interview beenden wir unseren Themenschwerpunkt Verwaltungsreform.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort