Tickende Zeitbombe

Mit einem Geständnis des Angeklagten hat vor dem Trierer Landgericht der Prozess gegen einen 19-jährigen Wittlicher begonnen. Der junge Mann soll im letzten August eine 46 Jahre alte Prostituierte mit Messerstichen so schwer verletzt haben, dass die Frau beinahe gestorben wäre. Sie ist seit dem Überfall an den Rollstuhl gefesselt.

Trier. Es ist wenige Minuten nach 11 Uhr, als es im Saal 70 des Trierer Landgerichts plötzlich mucksmäuschenstill wird. Gebannt schauen das fünfköpfige Gericht unter seinem Vorsitzenden Rolf Gabelmann und die übrigen Prozessbeteiligten zur Tür, die ein Justizbediensteter geöffnet hat. Es dauert eine Weile, bis die aus dem Aufenthaltsbereich herbeigerufene Zeugin erscheint. Die 46-Jährige kommt im Rollstuhl in den Sitzungssaal gefahren, macht vor dem Zeugentisch gekonnt eine 90-Grad-Drehung und sitzt jetzt vis-à-vis dem Vorsitzenden Richter gegenüber. "Ich hätte ihn aufgeschlitzt"

Schräg rechts vor der erstaunlich gefasst wirkenden Frau sitzt ihr mutmaßlicher Peiniger. Der 19-jährige Wittlicher soll die Prostituierte vor fast auf den Tag genau acht Monaten in ihrem Wohnmobil mit neun Messerstichen in den Nacken- und Rückenbereich beinahe getötet haben. Dass das Opfer überlebt habe, sei ein Wunder gewesen, sagen die Ärzte. "Sie ist ein Überlebenstyp", sagt später an diesem Tag eine Freundin. "Und sie hat ein fotografisches Gedächtnis."Es war die gute Personenbeschreibung, die die Prostituierte - trotz der schweren Verletzungen - abgegeben hatte, die dazu führte, dass der mutmaßliche Täter einen Monat nach dem Überfall gefasst wurde. Eine TV-Leserin hatte das Phantombild des Gesuchten in der Zeitung gesehen und der Polizei den entscheidenden Tipp gegeben. Den Tag des Überfalls wird das Opfer wohl sein Leben lang nicht mehr vergessen, nicht nur wegen der bleibenden körperlichen und seelischen Verletzungen. Ansatzlos und mit den Worten "und jetzt geht's los" habe der junge Mann an jenem Nachmittag im August auf sie eingeschlagen, berichtet die Frau, die regelmäßig in einem gemieteten Wohnmobil auf einem einschlägig bekannten Parkplatz an der Landesstraße 141 bei Salmtal (Kreis Bernkastel-Wittlich) "angeschafft" hat. Den Schlägen folgten unzählige Tritte. "Dann hat er plötzlich sein Messer gezogen und auf mich eingestochen." Im Gerangel sei das Messer zu Boden gefallen. "Wenn ich es bekommen hätte, ich hätte ihn aufgeschlitzt", sagt das Opfer. "Aber er war schneller." Mehrere Male habe der Angeklagte noch auf sie eingestochen, ihr dann das Handy gestohlen und sei weggelaufen. Opfer seit Überfall Hartz-IV-Empfängerin

Nur weil sie ein zweites Handy im Auto hatte, konnte die schwer verletzte und fast bewegungsunfähige Frau noch selbst Hilfe rufen. "Ohne das Handy wäre ich innerhalb von zehn Minuten gestorben, ich wäre verreckt", sagt sie im Gerichtssaal mit lauter Stimme und schaut dabei in Richtung des Angeklagten. Der 19-Jährige blickt sein Opfer nicht einmal an; mit gesenktem Kopf sitzt er neben seiner Verteidigerin Sandra Buhr und nestelt an seinen Taschentüchern.Eineinhalb Stunden zuvor gab sich der arbeitslose junge Mann noch selbstbewusster, schilderte die Bluttat als Reaktion auf einen vorausgegangenen Streit mit seiner Freundin, von der er vermutet habe, dass sie sich heimlich prostituiere. "Wir haben Sie bislang zehnmal vernommen und jedes Mal eine neue Version gehört", entgegnet Staatsanwalt Eric Samel, der den 19-Jährigen wegen versuchten Mordes angeklagt hat.Das im Rollstuhl sitzende Opfer der Messerattacke redet sich in Rage. "Der ist ja pervers, eine tickende Zeitbombe", raunzt die 46-Jährige während der Zeugenaussage, "der gehört bis an sein Lebensende eingesperrt." Die Frau ist seit dem Überfall teilweise gelähmt, leidet unter Angstzuständen und Albträumen, schluckt haufenweise Tabletten. "Ich lebe jetzt von Hartz IV", entgegnet sie dem Richter auf seine Frage, "466 Euro im Monat."Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.

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