Trierer Geiselnahme: Pleiten, Pech und Pannen

TRIER. Ein außergewöhnliches Verfahren wird diese Woche vor dem Trierer Landgericht verhandelt: Der Prozess gegen fünf mutmaßliche Geiselgangster fällt gleich in mehrfacher Hinsicht aus dem üblichen Rahmen.

So viel dienstliches Publikum sitzt selten im Zuschauerraum: Polizei und Finanzamt hören eifrig mit, unbeteiligte Rechtsanwälte verschaffen sich einen Eindruck, sogar Richter, sonst ein Sakrileg, mischen sich unter die Besucher. Nur die drei Fernseh-Teams müssen draußen bleiben - sie haben die fünf Angeklagten schon vor Eröffnung der Sitzung minutenlang mit ihren Kameras gefoltert. Jetzt foltert nur noch die unerträgliche Hitze im berüchtigten großen Sitzungssaal die Beteiligten. Der Vorsitzende Richter Rolf Gabelmann zeigt sich generös: Die Anwälte dürften ihre Robe ablegen, lässt er verlauten. Aber das geht offenbar gegen die Ehre: Man schwitzt lieber weiter. Auch die Angeklagten schwitzen. Familienväter, Mitte 30 bis Mitte 40, wenig Erfolg im gelernten Beruf, kleinere oder größere Schulden. Kein kriminelles Milieu, die blond frisierten Ehefrauen sitzen im Zuschauerraum und schauen fassungslos drein. Die Geschichte, die Gabelmann mit seinem ruhigen, akribischen, auf Ungeduld keine Rücksicht nehmenden Fragestil entrollt, klingt stellenweise wie ein Fernseh-Drehbuch. Allerdings nicht für "Die Gentlemen bitten zur Kasse", sondern eher für "Die dümmsten Verbrecher der Welt". Mit "uneinbringlichen Forderungen" wollte der Angeklagte Detlev N. Geld machen - eine Art Radikal-Inkasso im Mafia-Stil, mit Drohungen wie der Infizierung durch HIV-Viren. Er suchte per Zeitungs-Anzeige Mitstreiter - und fand den ehemaligen Bundeswehr-Soldaten Gert W., den gelernten Bäcker René K., Jörg S., dessen Firma gerade Pleite gemacht hatte, sowie dessen Schwager Andreas W. Wiederum per Anzeige bot N. die Dienste seines "Unternehmens" an. Einer seiner ersten Kunden war ein Makler aus Gerolstein, der 330 000 Euro vom Trierer Geschäftsmann Berthold R. eintreiben lassen wollte. N., der sich seinen Mitarbeitern als ausgebuffter Profi präsentiert hatte, machte höchstpersönlich und unter seinem echten Namen - allerdings unter einem Vorwand - einen Termin mit R. aus, ließ sich gar eine Anfahrts-Beschreibung nach Hause faxen - spätere Grundlage für einen raschen Fahndungserfolg der Polizei. Zur Tatausführung fuhr N. gar nicht erst mit, er schickte den Rest seiner Crew. Zur Überraschung tauchte in R.'s Wohnung dessen Ehefrau auf, die prompt mit den angeblichen HIV-Viren bedroht wurde - wobei sich in der Ampulle nur Wasser befand. Einer der Täter fuhr mit R. zu dessen Bank, aber der sprang aus dem Auto und entkam. Der Rest der Bande, telefonisch alarmiert, schloss R.'s Ehefrau im Bad ein und verschwand. Erst als man sich zu Hause im Badischen wieder traf, wurde den Gangstern die Tragweite klar: Sie sahen im Fernsehen Live-Bilder von einer Geiselnahme in Trier. Nur allmählich begriffen sie, dass es sich um ihre eigene Tat handelte: Die Ehefrau saß immer noch im Bad fest, und die Polizei nahm an, die Täter seien noch im Haus. Die aber saßen bei McDonalds in Bruchsal und stritten sich heftig über das Debakel. Das Gericht hat nun die schwierige Aufgabe zu sondieren, wie viel kriminelle Energie hinter der Story von Pleiten, Pech und Pannen steckt. Glaubt man der (Selbst-)Darstellung von Detlev N., dann ist er zu seinen Taten von einem ominösen Superkriminellen namens "Mario" unter Drohungen gegen Frau und Kind gezwungen worden. Leider gibt es von Mario weder Spur noch Lebenszeichen - was manchen im Saal an seiner Existenz zweifeln lässt. Das Gericht aber hört sich geduldig und über Stunden alle Facetten von N.'s Geschichte an. Fast scheint es, als wolle man das Verfahren geradezu demonstrativ offen und sachlich führen. Die Vorbelastung durch den Kunstfehler der Dritten Strafkammer liegt fast sodrückend auf dem Saal wie die Schwüle. Über Angeklagte zu urteilen, denen es schon als mildernder Umstand angerechnet werden muss, dass sie zum Verfahren überhaupt gekommen sind, ist kein leichter Job. Die geplanten drei Verhandlungstage wird man wohl brauchen.

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