Trierer Verkehrsexperte zum Dieselskandal: "Es besteht Gefahr für Leib und Leben”

Trier · Der Verkehrsexperte Heiner Monheim fordert ein Umdenken der Politik. Statt weiterhin auf Autos zu setzen, sollte der Nahverkehr gefördert werden.

 Heiner Monheim

Heiner Monheim

Foto: Roland Morgen/Archivfoto

Trotz des Stuttgarter Urteils scheint die Politik derzeit nicht wirklich daran interessiert, Diesel-Autos zu verbieten. Wie beurteilen Sie das?
HEINER MONHEIM: Es ist hanebüchen, dass es bei der Diskussion lediglich um einen Vertrauensschutz für Autofahrer geht, aber die Gesundheitsgefahr durch Diesel-Fahrzeuge fast gar keine Rolle spielt. Es ist Gefahr in Verzug. Gefahr für Leib und Leben. Durch die Stickstoffdioxid-Belastung wird eindeutig Leben verkürzt.

Was muss getan werden?
MONHEIM: Als erster Schritt muss das Netz der Messstationen für Stickstoffdioxid deutlich ausgebaut werden. Es gibt keine flächendeckende Messung des gesundheitsgefährdenden Gases. Wir brauchen 1000 neue Messstellen. Belastungen wie in Stuttgart, die zu dem Urteil des dortigen Verwaltungsgerichts geführt haben, sind nicht einzigartig. Die gibt es mehrfach. Die werden aber nicht gemessen. Das zeigt doch ganz deutlich: Die Verkehrspolitik ist auf dem Auge blind.

Das heißt also, die Belastung mit giftigen Abgasen ist deutlich höher als bekannt, aber es fehlt an Daten?
MONHEIM: Genau. Bei erhöhten Stickstoffdioxidwerten kann es eigentlich gar keine andere Möglichkeit geben, als die betroffenen Städte, Straßen und Knotenpunkte für den Verkehr zu sperren. Es ist übrigens eine Illusion, dass bei Fahrverboten nur um Innenstädte geht. Wir haben jede Menge hochbelastete Verkehrsknoten, an denen die Schadstoffe mangels Stationen nicht gemessen werden.

Herr Monheim, wie ist es überhaupt aus Ihrer Sicht zu dem Dieselskandal gekommen?
MONHEIM: Bereits in den 1970er Jahren war klar, dass die Abgaswerte, die auf den Prüfständen ermittelt wurden, nichts mit der Realität zu tun haben. Der Stadtverkehr ist geprägt von ganz viel Stopp and Go, mal kommt ein Fußgänger, dann parkt vor einem einer ein. Das wurde aber bei den Prüfwerten nicht berücksichtigt. Schon da war klar, das Abgasverhalten der Autos muss am Auspuff im tatsächlichen Verkehr und nicht im Labor gemessen werden. Das heißt: Jede Zulassung müsste davon abhängig gemacht werden von dem, was hinten raus kommt. Um die Belastung zu reduzieren, müssten entweder die Autos leichter werden, müsste es generell weniger Autos geben oder aber als letzte Möglichkeit Fahrverbote ausgesprochen werden.

Aber es wurde doch immer so getan, als seien Dieselautos gut für die Umwelt.
MONHEIM: Diesel stand eigentlich immer schon am Pranger. Dass der Kraftstoff als sauber galt, war industriepolitisch so gewollt. Mich ärgert maßlos, dass nun über Nachrüst- und Kaufprämien für Dieselautos diskutiert wird. Stattdessen sollte man den Betroffenen eine BahnCard kaufen. Wir bleiben weiterhin im Autosystem. Was zu weniger Autoverkehr führt, ist im Repertoire der Bundesregierung nicht vorhanden. Und der öffentliche Nahverkehr verhungert am ausgestreckten Arm.

Aber die Politik hat doch angekündigt, die Elektromobilität zu fördern. Das ist doch ein richtiger Schritt, oder nicht?
MONHEIM: Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass es zu viele Autos gibt. Wir machen trotzdem weiter mit dem Bau neuer Straßen und die Innenstädte sind weiterhin überlastet. Das ist keine nachhaltige Verkehrspolitik. Derzeit sind 99 Prozent der Elektrofahrzeuge in Deutschland E-Fahrräder. Warum wird denn deren Kauf nicht mit einer Prämie gefördert?

Mit anderen Worten: Die Situation ist im wahrsten Sinne des Wortes verfahren. Gibt es einen Ausweg?
MONHEIM: Es ist gut, dass die Deutsche Umwelthilfe mit ihren Klagen für Diesel-Fahrverbote den Bund und die Kommunen vor sich hertreibt. Lange haben die Gerichte den Gesundheitsschutz der Bürger nicht so wirklich ernst genommen, daran ändert sich jetzt etwas dran. Der Ausstieg aus der durch Benzin und Diesel angetriebenen Mobilität ist eingeläutet.

VERKEHRSEXPERTE UND RAUMPLANER: Heiner Monheim (71) ist Verkehrswissenschaftler und Geograf. Von 1995 bis 2011 war der gebürtige Aachener Professor für Angewandte Geografie, Raumentwicklung und Landesplanung an der Universität Trier.

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