"Trittin soll Atommeiler überprüfen"

SAARBRÜCKEN. Nach dem Streit um die vom französischen Kernkraftwerk Cattenom geplanten höheren Grenzwerte fordert SPD-Politiker Hermann Scheer Aufklärung über den Abbrand der Brennelemente in deutschen Atommeilern verlangt. Scheer ist Experte für regenerative Energien.

Verärgert hat sich der SPD-Energiepolitiker Hermann Scheer über die Geheimniskrämerei in deutschen Kernkraftwerken gezeigt. Vor allem gefällt dem Träger des alternativen Nobelpreises nicht, dass der Abbrand der Brennelemente in deutschen Atommeilern still und heimlich erhöht wurde. Deshalb verlangte der Politiker eine "unverzügliche Untersuchung" durch das Bundesamt für Strahlenschutz: "Man muss eine generelle Überprüfung dieses Problems in allen deutschen Kraftwerken einleiten. Dazu fordere ich Bundesumweltminister Jürgen Trittin ausdrücklich auf." Dabei solle nicht nur beleuchtet werden, auf welche Art der Abbrand in den Reaktoren erhöht wurde, sondern auch, wie sich dadurch die Tritium-Belastung der Gewässer entwickelt habe. Ferner sei zu klären, ob die Grenzwerte der Kraftwerke für die Ableitung des radioaktiven Tritiums in die Flüsse "auch eingehalten werden", so Scheer. "Ich halte diese Grenzwerte für problematisch", urteilte der Politiker; damit habe sich die Atomlobby jedoch die Legitimation für den erhöhten Abbrand und die Tritium-Einleitungen zurechtgelegt. Auch in die Diskussion um die Ableitungswerte der Nuklearzentrale Cattenom möchte Scheer sich einschalten: "Das geht alle an, wenn mehr Tritium in die Wasserkreisläufe eingebracht wird." Betroffen von diesem Vorgang sei nicht zuletzt die Europäische Union mit ihrer Euratom-Behörde, "das Lieblingskind der europäischen Energiepolitik". Diese Behörde halte sich bisher bei allen Negativmeldungen über die Atomenergie vornehm zurück, obwohl ihre Aufgabe auch die der nuklearen Sicherheit sei, sagte er.Brennelemente bleiben länger im Werk

Die Diskussion über den Abbrand der Brennelemente und die erhöhte Einleitung von Tritium in die Mosel war Anfang der Woche aufgeflammt, als die Saarbrücker Zeitung über den entsprechenden Antrag der Electricité de France (EDF) für den großen Kraftwerks-Komplex in Cattenom berichtete. In diesem Antrag, der von der Öffentlichkeit in einem Planoffenlegungsverfahren (enquête publique) eingesehen werden kann, wird die Notwendigkeit einer Anhebung der Grenzwerte für Tritium um 25 Prozent damit begründet, dass wesentlich mehr radioaktiver Wasserstoff, also Tritium, abgeleitet werden müsse. Grund dafür sei eine neue Brennstoff-Führung im Reaktor, mit der die Intervalle zum Austausch der Brennelemente deutlich vergrößert werden sollen. Zur Zeit liegt der Jahresgrenzwert für Tritium in Cattenom bei 160 000 Gigabecquerel (Milliarden Becquerel), wobei die Einheit Becquerel für einen radioaktiven Zerfall pro Sekunde steht. EDF hat beantragt diesen Grenzwert auf 200 000 Gigabecquerel zu erhöhen. Gleichzeitig wurde aber auch beantragt, größere Mengen von Chemikalien in die Mosel einleiten zu dürfen, so etwa 105 Tonnen Borsäure, 336 Tonnen Natrium, fast 4000 Tonnen Salze, zwölf Tonnen Kupfer, acht Tonnen Zink oder 530 Kilo des wassergefährdenden Hydrazinhydrats pro Jahr. In ihrem Antrag führt die EDF international anerkannte Behörden auf, nach denen das heutige und künftige von Cattenom verursachte Strahlenrisiko "vernachlässigbar gering" sei. Als Beleg für die Ungefährlichkeit der radioaktiven Ableitungen für die Umwelt behaupten die Antragsteller: "Die Messkampagnen zur Erfassung der Radioaktivität zeigen, dass Auswirkungen des Atomkraftwerks Cattenom nach 14 Betriebsjahren auf die Bodenumwelt nicht nachweisbar sind. Nur die Wasserumwelt in der Nähe des Standorts weist Spuren von Radioaktivität auf, die auf flüssige Einleitungen des Kernkraftwerks zurückzuführen sind."In Deutschland ohne Debatte längst eingeführt

Die öffentliche Diskussion um Cattenom hat inzwischen aber zu der Erkenntnis geführt, dass in Deutschland bereits die in Cattenom geplante neue Brennstoff-Führung im Kraftwerksbetrieb umgesetzt wurde, und zwar Schritt für Schritt seit Ende der 80er-Jahre. So wurde der Abbrand der Brennelemente und die Verweildauer im Reaktor in Einzelfällen über 50 Prozent erhöht. Dies geschah allerdings ohne öffentliche Debatte und ohne öffentliches Genehmigungsverfahren. Denn anders als in Cattenom, wo die Grenzwerte für Tritium-Ableitungen sehr knapp bemessen sind, liegen in Deutschland allgemein großzügigere Regelungen vor. Hier zeigt sich, dass auch bei stärkerem Abbrand der Brennelemente die erlaubten Grenzen nicht erreicht werden. Deshalb wurden in Deutschland keine Genehmigungsverfahren erforderlich, die sicher zu neuen Atomdebatten geführt hätten.

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