USA sauer auf China - aber sie brauchen das Land

Washington · Das Weiße Haus kann sich angesichts der Nordkorea-Krise Drohungen wegen fragwürdiger Handelspraktiken nicht leisten.

Washington Wilbur Ross greift tief in die Schublade der Geschichte, um zu rechtfertigen, dass die Vereinigten Staaten die Handelspraktiken Chinas untersuchen. In einem Essay zitiert der Handelsminister den großen Abraham Lincoln, den Präsidenten, der die Spaltung der Republik verhinderte. "Das Patentsystem hat Öl ins Feuer unseres Genies gegossen", hat "Old Abe" einmal gesagt; der Spruch ziert den Eingang des nationalen Patentamts. Heute aber, schreibt Ross in der Financial Times, sähen sich sowohl das amerikanische Patentsystem als auch amerikanisches Genie heftigen Attacken ausgesetzt. Und China sei der größte Übeltäter. Ob die scharfe Rhetorik entsprechend harte politische Handlungen nach sich zieht, bleibt abzuwarten.
Als Donald Trump am Montagabend ein Dekret unterzeichnete, das seinen Handelsbeauftragen Robert Lighthizer anweist, die Methoden Chinas unter die Lupe zu nehmen, begleitete er den formellen Akt mit Tönen, die an seinen populistischen Wahlkampf erinnerten. Zu lange habe die politische Klasse Washingtons weggeschaut, während der Diebstahl geistigen Eigentums Amerika Jahr für Jahr Millionen von Jobs und Milliarden an Dollars koste, wetterte der Präsident. "Doch Washington wird die Augen nicht länger verschließen." Ist es der Auftakt zu einem Handelskrieg?
Für den Moment lässt Trumps Memorandum eher an ein Damoklesschwert denken, das über den Köpfen schwebt und irgendwann herabfallen kann - oder auch nicht. Die gesetzliche Grundlage ist klar. Nach den Paragrafen 301 und 302 des Trade Act, eines 1974 vom Kongress beschlossenen Gesetzes, kann der Handelsbeauftragte der USA einen bestimmten Fall unter anderem dann prüfen, wenn es Hinweise auf den Diebstahl geistigen Eigentums durch ausländische Konkurrenz gibt.
In der Praxis ist es sehr viel komplizierter. Das Weiße Haus droht die handelspolitischen Daumenschrauben ausgerechnet in einer Zeit anzuziehen, in der es China dringend als Partner braucht, um den Konflikt um die nordkoreanischen Atomwaffen zu lösen oder zumindest zu entschärfen.
Während Hardliner wie Ross oder Peter Navarro, ein erklärter Gegner weltweiten Freihandels, den Druck auf Peking erhöhen möchten, versucht Trumps außenpolitisches Team, einen gemeinsamen Nenner mit Peking zu finden. Es ist ein Drahtseilakt, dessen Ende niemand seriös vorhersagen kann. Interessanterweise betonen hohe Regierungsbeamte in Gesprächen mit Journalisten, dass es bis zu einem Jahr dauern kann, ehe Konkretes beschlossen wird. Wenn dies geschehe, dann erst nach Konsultationen mit China. Ob es mit Zollschranken oder aber einem Verhandlungskompromiss ende, sei völlig offen.
Die Relativierungen lassen erahnen, wie kontrovers hinter den Kulissen des Weißen Hauses debattiert wird. Die Fraktion der Globalisten, wie US-Medien sie nennen, angeführt von Gary Cohn, dem Chef des Wirtschaftsberatergremiums der Machtzentrale, fürchtet offenbar einen Präzedenzfall, der an den Grundpfeilern des Gebäudes der WTO, der Welthandelsorganisation, rütteln könnte.
Lässt Trump den Streit eskalieren, erhebt er irgendwann Zölle auf chinesische Waren, könnte der Respekt für das auf Regeln basierende System der WTO erodieren, warnt auch das Wall Street Journal in einem Leitartikel. Zudem könnte Peking seine Position als wichtigster Wirtschaftspartner ostasiatischer Nationen nutzen, um Washington in der Region an den Rand zu drängen. Der amerikanische Asienhandel, auch mit geopolitischen Verbündeten wie Japan oder Südkorea, würde Schaden nehmen. Ergo hätten die USA ein ausgeprägtes Interesse am Erhalt jener regelbasierten Strukturen, die sie selber mit aufgebaut haben, schreibt das Blatt.
Andererseits sitzt der Frust über fragwürdige Praktiken Chinas tatsächlich tief. Dass ausländische Unternehmen Joint-Ventures mit lokalen Firmen gründen und intellektuelles Eigentum mit ihnen teilen müssen, wenn sie in China investieren wollen, lässt Business-Vertreter seit längerem grummeln. Es ist ein Ärger, den etliche Politiker teilen, und zwar über Parteigrenzen hinweg. Da sind eher protektionistisch gesinnte Demokraten aus dem Rostgürtel der alten Industrie, die kaum anders klingen als Trump. Sherrod Brown, ein Senator aus Ohio, sieht in dessen Dekret denn auch ein "unmissverständliches" Signal an die Adresse Pekings.
Da sind Republikaner, die traditionell die Fahne des Freihandels hochhielten, in diesem Fall aber für Härte plädieren. Etwa Orrin Hatch, ein Senatsveteran aus Utah. Es sei richtig, sagt Hatch, China für den Diebstahl geistigen Eigentums zur Verantwortung zu ziehen.

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