Umstrittener Mainzer Königsweg

MAINZ. In zwölf oder 13 Jahren bis zum Abitur? An dieser Frage scheiden sich bundesweit die Geister. Rheinland-Pfalz sieht in 12,5 Jahren den Königsweg und erntet dafür auch Kritik.

Die deutschen Pennäler drücken zu lange die Schulbank, befand der frühere Bundespräsident Roman Herzog, als er 1997 in seiner berühmten Rede den "Aufbruch in das 21 Jahrhundert" forderte. Mehrere Bundesländer haben seitdem den Einstieg in das Abitur mit zwölf Schuljahren forciert, nicht zuletzt weil Bildungsstudien keine handfesten Belege gegen einen schnelleren Weg zur Hochschulreife aufzeigen. In Thüringen und Sachsen wurde die kürzere Schuldauer aus DDR-Zeiten übernommen. Als erstes westdeutsches Land stellte 2001 das Saarland die Weichen um. Im Jahr 2009 sollen dort die Schüler generell nach achtjähriger Gymnasialzeit das Reifezeugnis in Händen halten. Die Siebtklässler erhalten ab kommendem Schuljahr erstmals 32 Wochenstunden (plus zwei) aufgepackt, um gekürzte Unterrichtszeit auszugleichen. Baden-Württemberg hat einen schrittweisen Einstieg beschlossen und auch Hamburg plant die Verkürzung. In anderen Bundesländern wie Rheinland-Pfalz gibt es einige Projektklassen für Begabte und besonders motivierte, die ein "Turbo-Abi" in zwölf Jahren ermöglichen. "Zeitgewinn ohne Qualitätsverlust" heißt das Motto in Mainz, wenn es um die grundsätzliche Linie geht. Die sieht seit vergangenem Jahr vor, dass nicht erst Ende Juni, sondern bereits Ende März die Abiturienten ihr Zeugnis erhalten, und damit nach 12,5 Jahren die Schule verlassen. Mit der um drei Monate vorgezogenen Prüfung erhielten viele die Chance, ein halbes Jahr Zeit zu sparen und bereits zum Sommersemester zu studieren oder im Frühjahr mit Wehr- und Zivildienst zu beginnen, ist sich Bildungsministerin Doris Ahnen (SPD) sicher. Doch viele Schüler und Lehrer sind skeptisch. Benjamin Breitenstein, Abiturient am Gymnasium im rheinhessischen Oppenheim, weiß niemanden unter seinen Mitschülern, der einen Vorteil aus dem schnelleren Schulabschluss zieht: Außerhalb der Landesgrenzen ist an den Hochschulen der Studienbeginn meist zum Wintersemester festgelegt, und Bewerbungsfristen für Fächer mit Zulassungsbeschränkung über die zentrale Vergabestelle (ZVS) können nicht eingehalten werden. Auch für das Drittel der Schulabgänger, die in eine Lehre streben, verlängert sich lediglich die Wartezeit, wenn nicht Wehrdienst oder Zivildienst abgeleistet werden müssen. Viele Schüler sehen im früheren Schulende lediglich die willkommene Verlängerung einer Pause auf dem oft langen Bildungsweg. Ahnen macht dagegen eine andere Rechnung auf: Trotz Anlaufschwierigkeiten hat nach ihren Angaben im vergangenen Jahr jeder Dritte der insgesamt mehr als 9000 Abiturienten vom vorverlegten Abschluss profitiert. Großteil der Studiengänge beginnt auch im Sommer

Rund 650 begannen unmittelbar an den Hochschulen im Land ein Studium, mehr als 700 traten zum 1. April bei der Bundeswehr an und bei den Zivildienstleistenden schnellte die Zahl im Frühjahr auf 1800 hoch. Von den 405 angebotenen Studiengängen an den Hochschulen des Landes können 367 zum Sommersemester begonnen werden, heißt es im Bildungsministerium, das zudem auf wachsende Flexibilität in anderen Bundesländern verweist. Viele Schüler und Lehrer beklagen allerdings auch den gestiegenen Stress, den der Umbau der Klassenstufe 13 gebracht hat. Herbst- und Weihnachtsferien werden zu intensiven Lernzeiten für die schriftlichen Abi-Prüfungen, die bereits im Januar beginnen. Danach ist noch einmal Unterricht angesetzt, bevor Ende März die mündliche Prüfung winkt. Für die Lehrer bringt die Neuerung neben einer vorübergehenden Mehrarbeit, die später wieder ausgeglichen wird, vor allem auch höheren organisatorische Anforderungen. "Der ganze Aufwand lohnt nicht", stellt Tilman Boehlkau, Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft fest. Auch für seinen Kollegen Max Laveuve vom Philologenverband macht das "seltsame Modell" keinen Sinn, außer dass nach seinen Angaben mehr als 100 Lehrerstellen eingespart werden. Der Landeselternbeirat steht dagegen der Verkürzung mit gemischten Gefühlen gegenüber. Er vermisst vielfach den reibungslosen Übergang in anschließende Ausbildungswege und bemängelt, dass Schüler angesichts des zeitlichen Drucks durchaus in die schriftliche Prüfung gehen können, ohne bereits zu wissen, ob sie die Zulassung überhaupt geschafft haben. Für Ministerin Ahnen gilt jedoch: Auch wenn nicht alle unmittelbar profitieren, ist es ein sinnvoller Weg, Zeit zu gewinnen. Sie will durch Informationskampagnen die Akzeptanz verbessern und sich nicht mehr auf einen Streit um 12 oder 13 Jahre bis zum Abitur einlassen.

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