Verbrechen oder Dummheit?
TRIER. Vor dem Trierer Landgericht wird derzeit ein ungewöhnlicher Fall von Brandstiftung verhandelt. Ein 39-jähriger Mann soll innerhalb von zwei Monaten vier Brände in dem Mietshaus gelegt haben, in dem er wohnte. Zum Glück entstand nur Sachschaden.
Die Biographie von Dieter M. ist eine einzige Ansammlung von Handicaps. Seinen leiblichen Vater hat er nie kennen gelernt, der Stiefvater trank sich zu Tode, seine Mutter warf den Jungen aus der Wohnung, ließ ihn zeitweise im Keller hausen. Die Schule: eine Katastrophe. Ein übers andere Mal wiederholt er Klassen, landet schließlich in der Sonderschule für Lernbehinderte. Der Traumjob als KfZ-Mechaniker scheitert an seiner Rechenschwäche, die Bewerbung als Bestatter bleibt erfolglos. Dieter M. verliert den Boden unter den Füßen, lebt drei Jahre in Trierer Abbruchhäusern, buchstäblich von nichts. Die Ausweispapiere hat er seit Jahren verloren, für die Behörden existiert er nicht mehr. Ein Freund hilft ihm aus dem Ärgsten, vermittelt ihm kleine Jobs, sorgt dafür, dass zunächst die Caritas und später die Lebenshilfe sich um Dieter M. kümmern. "Zuverlässig und hilfsbereit" nennt ihn der Freund, "unfähig, irgend etwas Illegales zu tun". Er arbeitet erfolgreich in der Lebenshilfewerkstatt, bekommt eine kleine eigene Wohnung - im Rahmen betreuten Wohnens, aber in einem ganz normalen Mietshaus mit 80 Mitbewohnern. Irgendwann muss dann etwas schief gelaufen sein bei dem inzwischen 39-Jährigen. Vielleicht, weil eine langjährige Beziehung in die Brüche ging. Vielleicht, weil es mit dem Hauseigentümer Ärger um feuchte Stellen in der Wohnung gab. Im Oktober 2004 geht er in den Keller des Hauses und zündet den Inhalt eines Müllcontainers an. Als sich der Brand auszubreiten beginnt, versucht er selbst zu löschen. Es klappt nicht, er alarmiert die Feuerwehr, die Schlimmeres verhindert. Niemand ahnt, dass der einfach strukturierte, aber nicht unbeliebte Mann, der sich so eifrig als Brandbekämpfer engagiert, das Feuer selbst gelegt hat.Der eifrige Brandbekämpfer hat das Feuer selbst gelegt
Zunächst glauben alle an ein Versehen, aber als er in den Folgewochen zwei weitere Male auf gleiche Weise zündelt, wird eine versteckte Kamera installiert. Als Dieter M. am 3. Januar wieder seinen einsamen Weg zum Müllcontainer antritt, wird er gefilmt - und anschließend verhaftet. Seither sitzt er in der Psychiatrie. Das könnte auch mit den vielfältigen Erklärungen zusammenhängen, die er für sein Verhalten lieferte: Mal wollte er Stimmen gehört haben, mal redete er von einem unwiderstehlichen Kribbeln in seinen Händen, das ihn zum Zündeln gezwungen habe. Bei Gericht erzählt er neue Versionen. "Raffiniert im Erfinden von Ausreden" sei er, vermutet die Kommissarin, die ihn nach der Tat vernommen hat. Aber Dieter M. wirkt eher wie ein Kind, das nur zugibt, was ihm zwingend nachgewiesen wird - und selbst das keineswegs immer. "Sie sind logischen Gedankengängen nicht immer zugänglich", spricht ihn die Vorsitzende Richterin Petra Schmitz an. Freundlich, bestimmt, aber manchmal erfolglos versucht die Kammer zu ergründen, welche Beweggründe hinter M.s Taten liegen. Es geht um viel für den Mann mit der traurigen Vergangenheit. Ist er ein gefährlicher Brandstifter, bei dessen Taten nur mit Glück eine Katastrophe verhütet wurde? Oder hat er eine Dummheit begangen, die sich nicht wiederholt? Oder ist er psychisch krank? Je nach der Einschätzung des Gerichts wird sich sein künftiger Lebensweg gestalten. "Ich bin nicht verrückt", beteuert M. immer wieder. Seine Abneigung gegen den Gutachter ist fast körperlich spürbar, er hat panische Angst vor einer dauerhaften Einweisung in die Psychiatrie. "Der braucht nur eine vernünftige Betreuung", sagt sein langjähriger Freund und bietet für den Fall der Entlassung einen Job in seinem Betrieb an. Die Kammer macht sich ihre Entscheidung nicht leicht, zusätzliche Verhandlungstage wurden terminiert. Das Verfahren wird am Montag um 9 Uhr fortgesetzt.