Vom Säugling bis zur Oma

BETTINGEN. 70-Stunden-Wochen sind keine Seltenheit, und die Freizeit wird von Sprechstunden und Notdiensten bestimmt: Alltag in einer ganz normalen Hausarzt-Praxis in der Eifel.

Es ist ruhig an diesem Nachmittag. Die letzten Patienten haben die Praxis vor knapp einer Stunde verlassen. Es ist Freitag. Fabian Rumpf und Hans Schumacher sind noch in ihren Behandlungszimmern. Büroarbeit ist angesagt. Seit fünf Jahren haben sie eine gemeinsame Praxis im Eifelort Bettingen, zehn Kilometer von Bitburg entfernt. Fabian Rumpf, 38, hat die Praxis in seinem Elternhaus 1997 von seinem Vater übernommen, als dieser plötzlich starb. Rumpf ist Allgemeinmediziner. Das Spezialgebiet von Hans Schumacher, 42, ist die innere Medizin. Die Praxis am Ortsrand von Bettingen ist eine typische Landarztpraxis. "Zu uns kommt jeder: vom Säugling bis zur Oma", erzählt Schumacher. Die beiden kennen ihre Patienten, viele kommen schon seit Jahren in die Praxis, manche sogar bereits in der zweiten Generation. "Wir sind oft Ansprechpartner für alle Probleme, nicht nur die medizinischen", sagt Rumpf. Den beiden macht ihr Job Spaß - eigentlich. Es werde immer schwerer, sich zu motivieren, gestehen sie. 70-Stunden-Wochen seien keine Seltenheit. Selbst Mittwochs nachmittags, wenn keine Sprechstunde ist, haben die beiden keine Freizeit: Patientenakten werden aktualisiert, die Buchhaltung muss in Ordnung gebracht werden. Außerhalb, aber auch während der Sprechstunden stehen noch Hausbesuche an - auch nachts. Hat einer der beiden Notdienst, den sie sich im Wechsel mit sechs anderen Ärzte der Umgebung teilen, dann ist eine unruhige Nacht programmiert. Der diensthabende Arzt ist für 66 Dörfer zuständig. Fahrtstrecken bis zu 40 Kilometern ("bis kurz vor die belgische Grenze") seien keine Seltenheit. "Im Winter sind wir locker mal bis zu drei Stunden für einen Notfall unterwegs", schildert Schmumacher den ganz normalen Notdienst-Alltag. Die halbe Nacht unterwegs und morgens um 8 Uhr wieder in der Praxis - für Ärzte auf dem Land Normalität. 15 Mal pro Jahr heißt es dann noch: Wochenend-Bereitschaft. Freunde, Verwandte, Freizeit - vieles fällt einfach flach. Vor dem von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt vorgeschlagenen Hausarzt-Modell graut es ihnen daher schon. Nach deren Vorstellungen sollen alle Patienten nicht mehr ohne Überweisung ihres Hausarztes in eine Fachpraxis gehen. "Dann wird der Aufwand für uns größer", befürchtet Rumpf. "Wir werden zu reinen Überweisungsschreibern." Andererseits praktizieren sie dieses Modell im Grunde bereits. Die meisten Patienten kommen zuerst in ihre Praxis. "Wir sind am ehesten in der Lage sie zu beurteilen." Ist eine Überweisung an einen Facharzt notwendig, dann müssen die Patienten nach Bitburg, Neuerburg oder auch mal nach Trier geschickt werden. Da die Busverbindungen in der Eifel spärlich sind, geht die Fahrt zum Facharzt für Ältere oft nur per Taxi. "Die Kosten dafür sind oft teurer als die gesamte Untersuchung", beschwert sich Schumacher. Sie sind frustriert, vor allem wegen der anhaltenden Spardiskussion im Gesundheitswesen. "Es tut schon weh, wenn die Kosten immer nur daran festgemacht werden, was die Ärzte verschreiben", kritisiert Rumpf. "Wir verschreiben nichts, was nicht notwendig ist." Viele Patienten bestünden auf die bekannten Pillen und Salben. Und noch etwas ärgert sie: "Unsere Gesundheitsminister sind immer Nicht-Mediziner, haben wenig Ahnung von der Praxis. Ein Justizminister, der kein Jurist ist, wäre undenkbar." Stress, Frust, schlechte Rahmenbedingungen - trotzdem sind die beidenMediziner Arzt aus Berufung und mit Leib und Seele. Doch für jeden Kollegen, der seinen sicheren Job im Krankenhaus für eine eigene Praxis nicht aufgeben will, für Medizin-Studenten, die lieber ins Ausland gehen, haben sie Verständnis.

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