Von Trier in die Slums von Nairobi

Trier/Nairobi · Vor der Wahl herrscht in Kenia Aufbruchstimmung. Studenten aus Deutschland und Afrika machen sich auf die Spur des Umschwungs.

Afrika ist ein junger Kontinent. So sind in Kenia, in seinem Südosten gelegen, 78 Prozent der Bevölkerung jünger als 35 Jahre. Ein großes Potenzial für die Zukunft, das hat auch die deutsche Bundesregierung erkannt. Mehr Bildung und Wohlstand sind die wichtigsten Ziele des Marshallplans für Afrika (siehe Info). Nicht zuletzt geht es auch darum, große Flüchtlingsbewegungen nach Europa zu verhindern.

Doch wie steht es in Afrika selbst? "Die Jugend in Kenia fordert mehr und mehr ihr Recht, bei den am 8..August anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen Gehör zu finden", ist der Afrika-Experte und ehemalige Hochschuldozent Dr. Johannes Michael Nebe überzeugt. Mit dem von ihm gegründeten Verein "Bildung fördert Entwicklung" und gemeinsam mit der Kenyatta University Nairobi hat der 76-Jährige deshalb erneut ein Projekt angestoßen, an dem Studierende aus Trier und Kenia teilnehmen. Es geht darum, mehr darüber zu erfahren, wie es um den demokratischen Prozess südlich der Sahara steht.

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Welche Erwartungen hat die Jugend in Kenia in die Politik ihres Landes? Zwölf junge Frauen und Männer, die an der Universität Trier studieren, suchen in Nairobi Antworten auf diese Frage. Vier Wochen lang werden die Studierenden der unterschiedlichsten Fachrichtungen in Kenia verbringen, um in den Slums der Hauptstadt die Situation zu beobachten, Interviews zu führen und die sozialen Netzwerke zu analysieren.

"Wir sind eine bunt gemischte Gruppe", sagt die Politik- und Germanistikstudentin Marie Baum (24), die sich wie alle Projektteilnehmer auf die Zeit in Afrika freut. "Wir sind alle in dem Alter der Leute, die dort nach Veränderungen in der Politik streben. Das macht es natürlich umso spannender." Auch zwölf Studierende und junge Erwachsene aus Nairobi sind an dem Projekt beteiligt. Den Kontakt über die sozialen Netzwerke haben beide Gruppen bereits geknüpft.

Das ist laut Johannes Michael Nebe eine Selbstverständlichkeit: "Das digitale Zeitalter ist schon längst in Afrika angekommen. Die Weltereignisse werden dort täglich wahrgenommen und mit der eigenen Lebenssituation verglichen, in der sie leben." Die Forderung, endlich einen Wechsel der elitären Politik herbeizuführen, sei auch deshalb deutlich spürbar.

Nach den Gewaltausbrüchen bei der Wahl 2007 und dem nur scheinbar friedlichen Urnengang vor vier Jahren weiß allerdings niemand, ob es im Umfeld des 8. August nicht wieder zu Zwischenfällen kommt. Die Gefahr von Gewalt ist der Hauptgrund, warum die Trierer Gruppe erst zwei Wochen später in das Flugzeug steigt.
Auch Philipp Anton (22) wird dann dabei sein, trotz der fast 2000 Euro, die jeder Teilnehmer für Flug und Aufenthalt aus eigener Tasche zahlen muss. "Für mich hat das Projekt auch den Anreiz, das Land und den Kontinent kennenzulernen. Wir werden Ecken sehen, an die sonst niemand kommt."

Der Politik- und Geografiestudent meint damit auch die geplanten Recherchen in den Slums von Nairobi, wo der Anteil der jungen Bevölkerung noch größer ist als im Rest Kenias. Auch Psychologiestudentin Laura Treutlein (22) ist beim Gedanken daran ein wenig mulmig. "Es ist beruhigend, dass wir dann Einheimische dabeihaben, die sich auskennen."

BWL-Student Jan-Hendrich Schlieper (23) freut sich auf die geplanten Gespräche mit Wirtschaftsvertretern des Landes. "Es ist das breite Spektrum, das dieses Projekt interessant macht", schwärmt er. Neben der Befragung junger Menschen, hoffnungsvoller Nachwuchspolitiker und wichtiger Entscheidungsträger analysiert die Gruppe die Meinungen, die vor und nach der Wahl in sozialen Medien wie Twitter und Facebook zum Ausdruck kommen. Die Ergebnisse sollen vor der einheimischen Presse vorgestellt werden. Zurück in Deutschland, ist dann ein umfassender Abschlussbericht geplant.

Insgesamt 24.000 Euro wird das Forschungsprojekt kosten. Das Innenministerium hat zumindest eine finanzielle Unterstützung für den Abschlussworkshop in Aussicht gestellt. "Wir hoffen, dass dank Spenden unser Eigenanteil noch sinkt", sagt Marie Baum.

Eine Gelegenheit dafür ist die Party "Tanzen für Afrika". Beginn im Studihaus der Universität ist morgen, Samstag, um 20.Uhr. Der Eintritt ist frei.

MARSHALLPLAN FÜR AFRIKA
Im Zuge der G-20-Präsidentschaft will die deutsche Bundesregierung in diesem Jahr das Projekt eines Marshallplans für Afrika voranbringen. Damit soll auch die zukünftige Zusammenarbeit zwischen Europa und Afrika neu geregelt werden. Nach Aussage von Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit, gehören Wirtschaftsinvestitionen und berufliche Bildung zu den zentralen Eckpunkten dieses Plans.
Kenia mit seinen Ansätzen einer demokratischen Regierung kommt dabei eine wichtige Funktion zu.
Laut Müller sollen die Inhalte des Marshallplans für Afrika im Dialog mit afrikanischen und europäischen Partnern der deutschen Entwicklungspolitik sowie von der Wirtschaft, Wissenschaft, von Kirchen und Politik erarbeitet werden.
Der länderübergreifende Verband Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe (Venro), in dem unter anderem Caritas International, die Johanniter und die Uno-Flüchtlingshilfe zusammenwirken, hat die Bundesregierung aufgefordert, die Interessen der afrikanischen Staaten stärker zu berücksichtigen.

"Eine tickende Zeitbombe"

Von Johannes Michael Nebe

Nairobi ist die Hauptstadt von Kenia. Etwa zwei Drittel der Bevölkerung - von etwa vier Millionen Einwohnern - leben in Slums. Dort herrschen Lebensverhältnisse, wie wir uns diese überhaupt nicht vorstellen können. Es gibt zurzeit sieben Milliarden Menschen auf der Erde, eine Milliarde lebt davon in Slums. Es ist wichtig, sich insbesondere der politischen Brisanz der Jugend zu stellen, die hier ohne Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft heranwächst. Gerade bei den Wahlen eskaliert das Konfliktpotenzial.
Die afrikanische Jugend - nicht nur in Kenia - fordert zu Recht qualifizierte Bildung und Arbeit, die Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben ist. Die Slumbevölkerung ist in Afrika überaus jung. In Kenia sind 42 Prozent jünger als 14 Jahre, jünger als 24 sind zwei Drittel der Slumbevölkerung. Kinder und Jugendliche sind in jeder Hinsicht benachteiligt, erhalten nur eine rudimentäre Bildung, kennen überwiegend nur die Arbeitslosigkeit und fühlen sich von der elitären Politik völlig ausgegrenzt. Bei Wahlen kommt es daher zumeist zu Ausschreitungen von Jugendlichen, die die Regierungen bisher jeweils mit Einsatz der Armee zu unterdrücken wussten.
Die berechtigten Wünsche der Jugend an die Politik finden kaum Gehör. Es wächst damit ein hohes Konfliktpotenzial heran, das Recht auf ein würdevolles Leben immer mehr einfordert - eine tickende Zeitbombe, die es aufzuhalten gilt. Die Jugend in Afrika darf nicht wie bisher häufig nur als Problem wahrgenommen werden. Ihre konkreten Vorstellungen und Wünsche sind ernsthaft zu diskutieren, wenn ein Staat eine Zukunft haben will.
Am 8. August finden in Kenia wieder Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt.

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