Wandel bringt Familien-Stress

MAINZ. Arbeitslosigkeit, fehlender Wohnraum und eine allseits geforderte Bereitschaft zum Ortswechsel werden zur Herausforderung für Familien. Steigende Fallzahlen der Jugendhilfe sind ein Spiegel der zunehmenden Belastungen. Für schwierige Fälle soll das Gegenrezept gelten: Hilfe zur Erziehung statt Heim.

Wirtschaftliche Probleme und ein rasanter gesellschaftlicher Wandel setzen vor allem sozial benachteiligten Familien zu. Die Folge: Belastungen werden zur Überforderung, verursachen Krisen und Vernachlässigung. Zunehmend ist die Jugendhilfe gefordert, bei der Erziehung zu unterstützen und damit aktive Familienpolitik zu betreiben. Die Hilfe sei als "Ausfallbürgschaft für gesamtgesellschaftliche Entwicklungen" zu sehen, heißt es in einem Landesbericht des Mainzer Instituts für Sozialpädagogische Forschung. Da sich die Veränderungen weiter beschleunigten, würden auch die Erziehungsprobleme weiter wachsen, so die nicht gerade optimistische Prognose. Nachweisbar ist nach Angaben von Diplom-Pädagogin Claudia Porr vom rheinland-pfälzischen Sozialministerium etwa ein Zusammenhang zwischen hoher örtlicher Mobilität und gestiegener Nachfrage nach Hilfen. Bindungen werden gekappt, das Umfeld ändert sich, teilweise kommt es zur Entwurzelung, wenn Mensch und Familie der Arbeit nachziehen oder durch den Job räumlich getrennt werden. "Alle müssen flexibel sein, doch das hat auch seine Schattenseiten", sagt Porr.Das Heim ist der letzte Ausweg

Ein deutlicher Ausbau der ambulanten Unterstützung von Familienhilfe über Erziehungsbeistand bis zu Tagesgruppen hat nach Angaben von Sozialministerin Malu Dreyer (SPD) dafür gesorgt, dass trotz insgesamt stark erhöhter Fallzahlen in den letzten Jahren zumindest die Heimunterbringung öfter vermieden werden konnte und zurückgegangen ist. So stiegen die ambulanten Erziehungshilfen zwischen 1999 und 2003 um mehr als 70 Prozent auf 4800 Fälle, die Zahl der stationären Hilfen wie Heimunterbringungen sank dagegen von 8560 auf 8370. Mit mehr als 40 Millionen Euro bezuschusst das Land jährlich die Jugendhilfe. Stand früher bei acht von zehn Problemfällen am Ende das Heim oder eine Pflegefamilie, ist dieser Anteil inzwischen auf rund 50 Prozent gesunken. Jeder dritte Fall kann inzwischen in der Familie gelöst werden. Die Heimerziehung ist besser als ihr Ruf, betont Porr. Vor allem, wenn Missbrauch, Misshandlung oder Vernachlässigung es notwendig machen, die Kinder aus der Familie zu holen. Doch grundsätzlich hat der inzwischen breit gefächerte ambulante Hilfe-Katalog, zu dem auch Gruppenarbeit und Tagesbetreuung gehört, Vorrang. Die Trennung von Eltern und Kindern soll vermieden und damit die Familie stabilisiert werden.Ambulante Hilfe rettet auch die Kosten

Die Heimunterbringung ist die teuerste Variante der Erziehungshilfe, weiß der Trierer Sozialdezernent Georg Bernarding (CDU). Bis zu 80 Prozent der Kosten für Erziehungshilfe fließen in den letzten Jahren in den stationären Bereich für Heimplätze oder betreutes Wohnen. 2004 waren es allein 5,2 Millionen Euro. Die Pflegesätze sind teilweise auf deutlich mehr als 200 Euro am Tag angewachsen. Die Kosten wären der Stadt angesichts der über die Jahre massiv gestiegenen Nachfrage noch schneller davongelaufen, hätte es nicht insgesamt das Umsteuern hin zur ambulanten Unterstützung gegeben. Gab es 1993 im Jahresschnitt 130 Heimunterbringungen, waren es 2004 nur noch 80. Gleichzeitig stieg die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die ambulant betreut werden, auf über 500. Besonders gefragt ist dabei die Gruppenarbeit, die mit Anti-Gewalttraining und pädagogischem Wochenende über ein Jahr lang mit dazu beitragen soll, dass "preiswert und wirkungsvoll" Hilfe zur Erziehung und zum Familienfrieden geleistet werden kann. Doch das Problem wird damit nicht gelöst. Durch veränderte Lebensumstände, soziales Klima und Anspruchsdenken wird das Aufwachsen schwieriger werden, wie Diplom-Pädagogin Porr es formuliert.

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