Warten auf den Zaubertrank

TRIER. Von morgens bis abends arbeiten ohne Bezahlung? Für die meisten unvorstellbar, für die Mitarbeiter des Fernsehsenders "Trier Plus" seit März Realität. Und dennoch hält die kleine Truppe unbeirrt den Betrieb aufrecht, trotzig wie die Gallier im Dorf des Asterix.

 Scheint demnächst für Trier plus die Sonne oder lässt man die Mitarbeiter endgültig im Regen stehen? Nachrichtensprecher Eric Lentes und Wettermann Florian Fries wissen es noch nicht. In dieser Woche soll eine Entscheidung fallen.Foto: Hans Krämer

Scheint demnächst für Trier plus die Sonne oder lässt man die Mitarbeiter endgültig im Regen stehen? Nachrichtensprecher Eric Lentes und Wettermann Florian Fries wissen es noch nicht. In dieser Woche soll eine Entscheidung fallen.Foto: Hans Krämer

Einsam sitzt Eric Lentes in dem riesigen Studio-Saal in einer umgebauten Fabrikhalle in Trier-Süd. Hier könnte man kleinere Fernsehserien drehen, aber es gibt nur eine einzige Kamera, dazu einen Stehtisch und einen Barhocker, dessen abgeschabter Bezug wenig Rückschlüsse auf das einstige Muster des Polsters zulässt.Kurz vor 17 Uhr stellt Lentes das Lächeln ab, setzt sein stets etwas grämliches Nachrichtengesicht auf, wartet, bis Techniker Max auf "drei, zwei" runterzählt und verliest sodann einen Auszug dessen, was sich im Laufe des Tages an Pressemeldungen angesammelt hat. Der unablässige Blick aufs Blatt ist, anders als bei der Tagesschau, keine Show - im "Trier-Plus"-Studio gibt es keinen Teleprompter.Morgens Lehrer, mittags Redakteur

Auf zwei, drei Korrekturen besteht der fernseh-erfahrene Bayer am Technikerpult, kleinere Unebenheiten quittiert er mit einem Schulterzucken. Man soll nicht übertreiben, schließlich muss um 18 Uhr die komplette Sendung stehen. "Meistens klappt des", sagt Max. "Jedenfalls einigermoaßen."Bis 13 Uhr steht Eric Lentes täglich in der Schule, unterrichtet Sport und Deutsch. Dann verbringt er vier Stunden im Studio, für ihn eine Art Hobby. "Im Verhältnis zu den anderen bin ich noch gut dran", sagt er. Immerhin lebt er nicht von der beim insolventen "Trier Plus" reichlich brotlosen Kunst des Fernsehmachens."Die anderen" haben es da schwerer. Gut ein Dutzend Köpfe zählt die Crew, Geld hat schon lange keiner mehr gesehen. Morgens um halb neun trifft man sich zur Konferenz, abends nach der Sendung ist noch längst nicht Feierabend. Der Beobachter ist erstaunt über die Disziplin, mit der man zu Werke geht. Urlaub? Krankheit? "Wenn ich zwei Tage nicht komme, ist eh Feierabend", grinst Techniker Max - manchmal hilft nur noch Galgenhumor.Immerhin gehört Max Botschafter zu den zwei, drei Profis im Sender, die ihr Handwerk gelernt haben. Die meisten sind eher durch Zufall zu "Trier Plus" gekommen, weil sie "mal gucken wollten, wie das so läuft", "Lust hatten, eine Tiersendung zu machen" oder "immer schon Sportreporter werden wollten". Ein Minimum an journalistischer Erfahrung, schon wurde man vom Video-Amateur zum Redakteur befördert.Entsprechend bunt gewürfelt ist die Truppe. Mancher entpuppt sich als echtes Bildschirm-Talent, andere wirken eher wie eine Karikatur auf "normales" Fernsehen. Weil man um jeden froh ist, der unter solchen Bedingungen arbeitet, darf offenbar auch jeder machen, was er will. Ein Chef existiert nicht mehr, seit die alte Geschäftsführung nach der Insolvenz gehen musste. Die Strukturen erinnern an fröhliche Anarcho-Experimente der Nach-68er-Zeit.Stilblüten und Endlos-Interviews

Freilich mutet das tägliche 40-Minuten-Programm den Zuschauern dementsprechend mancherlei Kuriositäten zu. Unverständliche Formulierungen, endlose Interviews, mit Stilblüten übersäte Sportkommentare sind keine Seltenheit. Immerhin hält man auf diese Art und Weise die Lizenz-Auflage ein, täglich mehr als 30 Minuten aus Trier zu senden.Und das Ganze kommt sympathisch rüber. Vor allem, wenn Florian Fries am Werk ist. Der jugendliche Wuschelkopf ist Wetterfrosch, Moderator, Reporter, Kameramann und Cutter in einem. Und er hat eine Bildschirmpräsenz, mit der er sich um seine Karriere keine Sorgen zu machen braucht.Fries stammt aus Trier, hat an der bayerischen Fernseh-Akademie studiert und ist ein Glücksfall für den kleinen Sender. Von seinen Erfahrungen profitieren alle - wann kann das ein 23-Jähriger schon mal für sich in Anspruch nehmen. Dass er noch da ist, liege "an der tollen Team-Atmosphäre". Da könne man nicht "einfach so abhauen". Dennoch macht er keinen Hehl daraus, dass "die Schmerzgrenze erreicht ist". Eine Aussage, die seine Kollegen fraglos teilen. Auch wenn die Verdi-Gewerkschaftsfahne, die einer ins Fenster gehängt hat, eher von Selbstironie zeugt als von Selbstbewusstsein.Zumindest die lokale Prominenz der "Trier-Plus"-Macher ist ein Trostpflaster. "Mit dem können Sie nicht mehr durch die Stadt gehen", sagt Reporter Harry und deutet mit einem Kopfnicken in Richtung Eric Lentes. Sogar das Brot in seiner Lieblingsbäckerei habe er kürzlich billiger bekommen, erzählt der Nachrichtenmann.Ob von "Trier Plus" mehr bleibt als solche Anekdoten? Die Unsicherheit darüber ist bei allen spürbar. Doch auch die Entschlossenheit, zu kämpfen. Schließlich hat Asterix in aussichtsloser Lage die Römer besiegt. Aber der hatte auch einen Zaubertrank.

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