Weiterdoktern an Hartz IV

BERLIN. SPD und Union streiten über einen Änderungsbedarf bei der Arbeitsmarktreform: Die Auseinandersetzung um Hartz IV wird zum Zankapfel in der großen Koalition.

Auch nach einer mehrstündigen Spitzenrunde am Sonntagabend gehen die Meinungen von Union und SPD über den notwendigen Korrekturbedarf bei der Reform erheblich auseinander. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gestern eine "grundlegende Überholung" geltend machte, lehnte SPD-Chef Kurt Beck eine Generalrevision ab. Dem Vernehmen nach sind die Genossen tief verärgert, dass der Koalitionspartner in der Öffentlichkeit ständig mit neuen Sparvorschlägen aufwartet, obwohl der Bundestag zu Hartz IV bereits an diesem Donnerstag ein so genanntes Fortentwicklungsgesetz verabschieden will. Fahndung hinter den Kulissen

Die ab August geltenden Bestimmungen laufen auf eine stärkere Bekämpfung des Leistungsmissbrauchs und auf schärfere Sanktionen gegen Arbeitsplatzverweigerer hinaus. Die Union will jedoch mehr. So hatte sich CSU-Chef Edmund Stoiber in der Koalitionsrunde für eine regionale Staffelung der Bezüge für Langzeitarbeitslose stark gemacht, was die SPD kategorisch zurück wies. Erst vor wenigen Wochen hatte Schwarz-Rot verabredet, den Regelsatz im Osten auf Westniveau anzuheben. Der staatliche Transfer soll bundeseinheitlich 345 Euro betragen. Hinter den Kulissen fahnden allerdings auch Arbeitsminister Franz Müntefering und Finanzminister Peer Steinbrück (beide SPD) nach Möglichkeiten, um die Hartz-Ausgaben in Grenzen zu halten. Der Bundesetat sieht in diesem Jahr 24,4 Milliarden Euro für das Arbeitslosengeld II (ALG II) vor. Nach Schätzungen von Haushaltsexperten drohen zusätzliche Ausgaben von bis zu drei Milliarden Euro. Die gängigen Darstellungen über eine Kostenexplosion werden allerdings durch Modellrechnungen des Bundesarbeitsministeriums relativiert. So hätten die Hartz-IV-Kosten der öffentlichen Hand einschließlich der Verwaltungskosten im Vorjahr insgesamt 44,4 Milliarden Euro betragen, heißt es im Ministerium. Im alten System aus Arbeitslosen- und Sozialhilfe wären die Aufwendungen nur rund eine Milliarde Euro niedriger gewesen. Tatsache bleibt freilich, dass die Hartz-Reform bislang zwei zentrale Ziele verfehlt hat: Es gibt weder Einsparungen, noch eine bessere Vermittlung der Langzeitarbeitslosen. In einer alarmierenden Studie hatte der Bundesrechnungshof kürzlich zahlreiche Missstände bei der Betreuung und der Anwendung von Sanktionen aufgedeckt. Zwei Drittel der Hilfsbedürftigen hätten im Durchschnitt drei Monate auf ein ernsthaftes Vermittlungsgespräch warten müssen. Bei den anderen gingen sogar sieben Monate ins Land. Zugleich gebe es "erhebliche Bearbeitungsmängel" bei der Hilfsbedürftigkeit der Antragsteller, heißt es in dem Rechnungshof-Papier. Weil sich die Ausgaben für das Arbeitslosengeld I unerwartet günstig entwickeln, denken Müntefering und Steinbrück über eine Umschichtung der Ersparnisse zu Gunsten des Hartz-IV-Topfes nach. Eine Möglichkeit wäre die Erhöhung des so genannten Aussteuerungsbetrages. Gegenwärtig muss die die Bundesagentur für Arbeit (BA) an den Bund pro Fall 10 000 Euro überweisen, wenn es ihr nicht gelingt, einen Erwerbslosen innerhalb des ersten Jahres zu vermitteln. Damit soll verhindert werden, dass die BA Kosten für Eingliederungsmaßnahmen spart und den Arbeitslosen lediglich zum ALG II durchreicht. In der Praxis nimmt die Bundesagentur für Arbeit den Aussteuerungsbetrag allerdings vielfach in Kauf, weil der Betroffene als nicht vermittelbar gilt. Die grüne Arbeitsmarktexpertin Thea Dückert befürchtet daher, dass die Bundesagentur bei einer Erhöhung der Strafzahlung noch weniger geneigt ist, ALG-II-Bezieher zu fördern. Wie ein Sprecher des Arbeitsministeriums gestern mitteilte, soll bis Herbst auch eine Überprüfung der so genannten Bedarfsgemeinschaften erfolgen. Hintergrund ist die von der SPD mit Skepsis betrachtete Unionsforderung nach einem Kombilohn aus eigenem Einkommen und staatlichen Transfers. Gegenwärtig beziehen rund eine Million Arbeitnehmer wegen ihrer geringen Löhne ergänzend ALG II. Damit wirkt dieser gesetzlich verbriefte Mechanismus schon jetzt wie ein Kombilohn. Warnung an die eigenen Reihen

Die Gesamtzahl der Bedarfsgemeinschaften, also der Haushalte mit ALG-II-Empfängern, ist seit Einführung der Reform um fast 700 000 auf 3,9 Millionen gestiegen. Eine Ursache waren großzügige Gesetzesbestimmungen für Jugendliche unter 25 Jahren, die aber inzwischen beseitigt wurden. Der CDU-Sozialpolitiker Gerald Weiß warnte denn auch seine eigenen Reihen davor, die verabredeten Korrekturen klein zu reden. "Weiteren Änderungsbedarf sehe ich momentan nicht", sagte Weiß unserer Zeitung. Allein das anstehende Fortentwicklungsgesetz enthalte 70 Maßnahmen, die im laufenden Jahr ein Einsparvolumen von 500 Millionen Euro brächten. 2007 seien es bereits rund 1,45 Milliarden Euro. "Das ist eine beachtliche Leistung", meinte Weiß.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort