Wenig Einfluss und viel Leerlauf

MAINZ. Mit vollem Einsatz kämpfen Abgeordnete und neue Bewerber knapp ein Jahr vor der Landtagswahl um die Kandidatenplätze. Mächtig drängt es sie nach Mainz. Gleichzeitig suchen die Landtagspräsidenten bundesweit nach Rezepten gegen eine zunehmende Langeweile im Parlament. Machtverlust und erstarrte Rituale setzen der Volksvertretung zu.

Es ist absolut nichts Neues, geschweige denn Spannendes zu erwarten, dennoch: Die CDU beantragt eine Aussprache über ihre Anfrage zu "Auswirkungen der Visa-Affäre auf Rheinland-Pfalz". Und weil der Opposition nicht die dadurch fällige Debattenstunde in vollem Umfang kampflos zugestanden werden soll, hält die SPD dagegen. Sie erhebt die "Schienenverbindung Mannheim - Mainz" zu einem noch weniger "brisanten" Diskussionsthema. Postwendend setzt im Plenum und auf der Pressetribüne eine Fluchtbewegung ein, um lustlosen Scheingefechten und langweiligem Wahlkampf-Vorgeplänkel zu entgehen. Tatort dieser Aktion war vergangene Woche der Landtag."Verlierer der letzten 20 bis 30 Jahre"

"Einflussverlust" heißt das Schlagwort, mit dem Politikwissenschaftler wie Uwe Thaysen den "unbestreitbaren Niedergang des Landesparlamentarismus" beschreiben. Für CDU-Urgestein Georg Gölter, als Minister und Abgeordneter seit 28 Jahren in der Landespolitik und mit 66 auf dem Weg in den Ruhestand, steht fest: "Die Landtage sind die Verlierer der letzten 20 bis 30 Jahre." Eine "unheilvolle" Verschränkung der Aufgaben von Bund und Ländern und das massive Abwandern von Zuständigkeiten bis zur EU nach Brüssel hat ihren Einfluss radikal beschnitten. Dagegen können die Ministerpräsidenten weiter um ihre Zustimmung zu Gesetzen auf der Bühne des Bundesrates mit dem Bund streiten und sich profilieren. Mit der neuen Form der Machtverteilung verliere der Landtag an Attraktivität, so Gölter. Zudem liegt nach seiner Überzeugung die Debattenkultur im Argen. Zu vieles ist Ritual und Schwarz-Weiß-Denken zwischen Regierenden und Opposition, stets nach dem Grundsatz: Von der anderen Seite kann überhaupt nichts Sinnvolles kommen. "Es gibt ein Nachwuchsproblem", weil die Landtage in ihrer schwierigen Rolle zwischen Bundes- und Kommunalpolitik nicht attraktiv sind für Persönlichkeiten und Berufe, die das Parlament bereichern könnten, wie Landtagspräsident Christoph Grimm (SPD) einräumt. Mangelnde Entscheidungsbefugnis und viel Leerlauf in der parlamentarischen Arbeit beklagen viele, weiß der Präsident, der sich jüngst mit seinen Kollegen aus den anderen Ländern darüber den Kopf zerbrach, wie man die Langeweile aus den Landtagen vertreibt. Grimm will über die seit Monaten laufende Föderalismusdebatte die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern eindeutiger klären und Zuständigkeiten in die Landtage zurückholen. "Wiederbelebung durch Aufwertung" heißt die Devise. Ansonsten drohe man zur Verwaltung auf der Ebene einer Bezirksregierung zu werden. Der baden-württembergische Landtag versteht sich dagegen als Teilzeitparlament, in dem Beruf und Mandat mit Ausnahme der Spitzenfunktionen grundsätzlich vereinbar sind. Grimm, früher ein Kämpfer für den Berufspolitiker, ist inzwischen auch für Diskussionen über den Teilzeit-Landtag offen. Arbeits- und Zeitaufwand müssen aus seiner Sicht kritisch überprüft werden. "Abgeordnete wenden viel Zeit auf, fragt sich nur, ob auch zielführend", rätselt er. Die Allzeit-Präsenz, die oft von Verbänden und Organisationen regelrecht eingefordert wird, dürfe jedenfalls nicht die Arbeit bestimmen. Auch die festgelegte Unvereinbarkeit von Beamten-Beruf und Mandat in Rheinland-Pfalz hält er für "völlig überzogen". Günter Rösch (SPD), der sich nach 19 Jahren Landtag im nächsten Jahr verabschieden wird, weiß, dass sich immer mal wieder Langeweile im Plenum breit macht und das Bemühen um lebhafte Debatten einmal mehr scheitert. Viele Themen seien politisch wichtig, auch wenn sie keine Renner fürs Publikum seien , glaubt der Moselaner dennoch. Von einem Hohen Haus der Langeweile will er nichts wissen. Die Politik sei schwieriger geworden, die Anforderungen an die Parlamentarier größer. Es fehle der Mut, sich fruchtlose Diskussionen schlicht zu ersparen, ist Gölter überzeugt. Auch er sieht einen Ausweg aus dem Dilemma in einer stärkeren Trennung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern. Gleichzeitig plädiert er für ein Teilzeitparlament. Nur noch an zwei Wochen pro Monat Landtagsarbeit, das wäre zu leisten, ist der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses überzeugt. Selbstständige arbeiteten ohnehin nebenher. Parteifreunde von ihm gehen noch weiter. Die Forderung nach einem Teilzeitparlament bei gleichzeitiger Veringerung der Abgeordnetenzahl von 101 auf 75 will der CDU-Stadtverband Bingen als Teil einer großen Parlaments- und Verwaltungsreform als Wahlkampfthema einbringen. "Locker machbar", meint dazu ihr Vorsitzender Thomas Feser.Meiste Zuständigkeit bei Bund und EU

Nach seiner Rechnung liegen 70 Prozent der politischen Zuständigkeiten ohnehin beim Bund und der EU. Rund 60 Prozent der Arbeit der Landtagsabgeordneten bestehe zudem aus Repräsentationsaufgaben, so der langjährige Organisationsreferent des CDU-Landesverbandes. Offene Türen rennt er damit bei den meisten Landespolitikern nicht ein.

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