Wenn Polizisten sich für ihre Arbeit schämen (Kommentar)

Trier · Sonderschichten und Überstunden ohne Ende. Kaum Zeit für die Prävention. Steigende Gewaltbereitschaft von Jugendlichen. Der Frust nimmt zu. Der Trierische Volksfreund hat darüber mit Polizisten gesprochen.

 Foto: Istock/Fotomatt_hh

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150 000 Wohnungseinbrüche gab es im vergangenen Jahr in Deutschland. Es ist die höchste Zahl seit 1998. Dass sich solch ein düsterer Rekord nicht in der Statistik für das Polizeipräsidium Trier spiegelt, hat mit einer zentralen Ermittlungsgruppe zu tun, die seit Herbst 2014 für hohe Aufklärungsquoten sorgt. Ein stets zehnköpfiges Team ist Garant für gute Zahlen.Gute Kriminalstatistik

"Daran wird sich auch kaum etwas ändern", glaubt Dieter Engemann vom Landesvorstand der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Allerdings täusche die gute Statistik darüber hinweg, dass die Situation auf den Dienststellen immer schlechter werde, weil von dort das Personal für solche und andere Spezialaufgaben und Sondereinsätzen abgezogen werde. "Die innere Sicherheit wird von der Polizei zwar nach wie vor gewährleistet. Die Frage ist allerdings wie. Das geht letztlich nur auf Kosten der Gesundheit der Polizisten. Wir sind einfach nicht genug."
Wie groß der Frust bei vielen Beamten geworden ist, zeigt sich in einem Gespräch des Trierischen Volksfreunds mit Polizisten aus der Region, deren wirkliche Namen wir nicht nennen. "Es wird immer schwieriger, unseren Amtseid zu erfüllen", sagt Georg H., ein Beamter mittleren Alters. "In vielen Dienststellen liegen wir bereits im Regeldienst über der Belastungsgrenze. Wenn dann Sonderlagen wie Einbruchserien, die Asylproblematik, Terror, Fastnacht oder Wahlkampf hinzukommen, funktioniert das nur noch, wenn einige Kollegen 200 Prozent leisten." Bei einem Altersdurchschnitt von über 50 Jahren vor allem auf den Landdienststellen sei das nur sehr schwer zu bewältigen.

"Bei uns müssten zum Beispiel immer alle da sein, nur um den Regeldienst zu besetzen." Mehr als 600 zusätzliche Dienste seien deshalb im vergangenen Jahr alleine dafür notwendig gewesen. Hinzu kämen viele Sondereinsätze.
Was das bedeutet, erklärt Peter S. Mit Mitte 30 zählt er zu den jüngeren unter den 1100 Polizisten im Bereich des Präsidiums Trier. "Ich war in den vergangenen zehn Tagen 100 Stunden im Einsatz. Das ist keine Seltenheit." Wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen sei er bereit, die Zähne zusammenzubeißen. "Aber wir jungen Beamten schaufeln uns damit letztlich das Grab für die Zukunft."Bevölkerung soll helfen

Der Leidensdruck bei den Polizisten ist so groß, dass die Gewerkschaft der Polizei die Öffentlichkeit sucht. Jürgen Schmitt organisiert gemeinsam mit Dieter Engemann drei Protesttage (siehe Extra). Die Bevölkerung soll mobilisiert werden, bei den politischen Parteien Druck zu machen, um die Personalsituation zu verbessern. Schmitt: "Wir hatten früher einmal 9500 Vollzeitstellen bei der Polizei. Davon sind wir schon lange weit entfernt, trotz der zusätzlichen Aufgaben. Wir machen unsere jungen Kollegen kaputt." Als Beleg dafür nennt er 200 Beamte im Bereich des Polizeipräsidiums, die nur eingeschränkt dienstfähig seien.

Bei der Landesregierung ist die hohe Belastung der Polizisten bekannt. "Wegen der aktuellen Herausforderungen müssen in der Polizei Aufgaben priorisiert, an der Situation orientierte Strukturen geschaffen und Personal umgeschichtet werden", sagt Innenminister Roger Lewentz. "Das gehört zur Ehrlichkeit dazu, und dafür bin ich den Polizistinnen und Polizisten sehr dankbar." Er nennt die aktuelle Kopfzahl von 9357 Polizisten im Land, was 8985 Vollzeitstellen entspreche, und verweist auf die "Rekordzahl bei der Neueinstellung von Polizeianwärtern". 500 sollen es in diesem Jahr sein. GdP-Funktionär Jürgen Schmitt kann darüber nicht einmal lächeln. "Die müssen zunächst ausgebildet werden. Aber selbst, wenn sie direkt mit dem Dienst beginnen könnten, würde das nicht einmal ausreichen, um die Zahl derjenigen auszugleichen, die in diesem Jahr in den Ruhestand gehen."

Wie die Polizisten im Redaktionsgespräch schildern, hat sich ihre Arbeit drastisch geändert. "Auch wegen der häufig weiten Wege sind wir kaum noch in der Lage, präventiv Streife zu fahren", sagt Peter S. "Unsere Streifen sind so etwas wie eine Feuerwehrpolizei, die von Einsatz zu Einsatz eilt. Oft müssen wir dabei zwischen einem Gewaltnotruf, einem Unfall mit Verletzten und einem Einbruchalarm priorisieren. Wenn ich dann erst nach 30 Minuten zu dem älteren Ehepaar komme, das sich wegen des Einbruchs gemeldet hat, schäme ich mich als Polizist. Ich habe nicht das Gefühl, dass wir wirklich wirkungsvolle Polizeiarbeit leisten können."

Für zusätzlichen Frust sorgen bei den Polizisten der nach ihren Schilderungen dramatische Verlust von Respekt und die zunehmende Gewaltbereitschaft, vor allem Jugendlicher und junger Erwachsener, gegenüber den Ordnungshütern. "Man kommt sich manchmal vor wie im Kriegseinsatz", sagt Georg H. "Manchmal müssen wir froh sein, dass uns Securitys bei einer Festnahme den Rücken frei halten."Meinung

Wie lange noch?Die Sicherheit der Menschen ist gewährleistet! Wie ein Mantra wiederholen auch die gewerkschaftlich organisierten Polizisten diesen Satz. Die Sicherheit ist gewährleistet, nur wie lange noch und zu welchem Preis? Es gibt zu wenige Polizisten im Land. Dem widerspricht nicht einmal die Landesregierung, die unter dem Diktat der Schuldenbremse steht. Mehr neue Polizeianwärter als je zuvor sollen dennoch eingestellt werden. An der enormen Belastung vieler Polizeibeamter wird das zunächst aber wenig ändern. Denn auch wenn Nachwuchskräfte bereits während ihrer Ausbildung den einen oder anderen Einsatz begleiten: Als vollwertige Polizisten werden sie erst nach drei Jahren zur Verfügung stehen. In der Zwischenzeit nimmt die Kopfzahl der Ordnungshüter eher ab, weil mehr Beamte in Rente gehen als neue hinzukommen. So wird die Belastung der Frauen und Männer bei der Landespolizei weiter steigen. Von einem Traumberuf bleiben zunehmend Trümmer. Für die Landtagswahl wird das Problem der Polizei nicht das Hauptthema sein. Danach muss sich die Politik aber intensiv damit befassen. Es geht dabei um mehr als Überstunden. Es geht um die sichere Basis für den Rechtsstaat. r.neubert@volksfreund.deExtra

Aktionstage: Unter dem Motto "Wir brauchen Verstärkung" geht die Gewerkschaft der Polizei auf die Straße, um auf die aus ihrer Sicht prekäre Personalsituation hinzuweisen. Auftakt ist am Samstag, 27. Februar, 11 bis 15 Uhr, am Pranger in der Trierer Fußgängerzone. Ein zweiter Protesttag ist am 4. März in Idar-Oberstein. In der Fußgängerzone Bitburg werden Polizisten am 5. März plakativ auf ihre Situation aufmerksam machen. r.n.
Mehr zu der bundesweiten Aktion der Polizei findet sich im Internet unter wir-brauchen-verstaerkung.info

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