Westerwelles Europapolitik ohne Europa

SAARBRÜCKEN. Beim Europaparteitag der FDP hat Parteichef Westerwelle seine Parteifreunde vor allem mit bundespolitischen Themen mobilisiert - und mit einer attraktiven Spitzenkandidatin.

Soviel Liberalismus ging der Parteitagsregie dann doch zu weit. Als der Berliner Abgeordnete Peter Landauer die Bewerber für die Europawahl-Liste lautstark vor die Alternative stellte, entweder seine Gegenkandidatur in Kauf zu nehmen oder eine Verpflichtungserklärung wider jede lobbyistische Betätigung zu unterschreiben, platzte dem Versammlungsleiter der Kragen: Ein Selbstvorschlag zur Kandidatur sei schon satzungsrechtlich unmöglich. Dabei hatte Landauers Anliegen durchaus einen ernsten Hintergrund. Gleich mehrere liberale Namen auf den vorderen Listenplätzen können sich mit der Berufsbezeichnung Wirtschaftsberater schmücken - einschließlich der Spitzenkandidatin Silvana Koch-Mehrin. Lobbyisten sind keine Seltenheit bei der FDP

Die ebenso telegene wie hochgewachsene Hoffnungsträgerin der FDP gründete vor sieben Jahren eine Lobby-Agentur in Brüssel. Und dann ist da noch Landauers Berliner Landeschef, Günter Rexrodt, der in zahlreichen Aufsichtsgremien mitmischt. Darunter bei der PR-Firma WMP, die durch einen dubiosen Beratervertrag mit der Bundesagentur für Arbeit in die Schlagzeilen geriet. Das blau-gelbe Europatreffen am Wochenende in Saarbrücken sollte sich freilich nicht in Problemen verheddern, sondern Aufbruchstimmung verbreiten. Und diese Inszenierung gelang trotz der Störversuche Landauers ganz ordentlich. Das scheinbar Paradoxe daran: Der Vorsitzende Guido Westerwelle wusste die 662 Delegierten deshalb zu begeistern, weil er Europa Europa sein ließ und sich statt dessen auf einen innenpolitischen Rundumschlag verlegte. Das hat Gründe. Ureigene liberale Themen wie Deregulierung oder Eigenverantwortung sind inzwischen auch bei den großen Volksparteien beheimatet. Nach dem Machtverlust im Bund muss sich die FDP auch mit einem inhaltlichen Bedeutungsverlust herum plagen. Also gab Westerwelle kräftig Gas: "Etwas Steuersenkung und etwas mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt sind noch kein liberales Reformprogramm". Die Union verabschiede sich genau so von einer großen Steuerreform wie Rot-Grün, rügte der Parteichef. Auch von der quasi großkoalitionär ausgehandelten Gesundheitsreform distanzierte sich Westerwelle mit Abscheu und Empörung. Dass dem umstrittenen Gesetzeswerk im Bundesrat auch die fünf Landesregierungen mit liberaler Beteiligung zugestimmt hatten, blendete er vorsichtshalber aus. In den Gremiensitzungen am Vorabend des Parteitages war es darüber noch zu erregten Diskussionen gekommen. Das Thema Europa fand in Westerwelles gut einstündiger Rede nur für ein paar Minuten Platz. Mehr Bürgernähe, gegen eine Politik der Großen zu Lasten der Kleinen und für eine 33-jährige Spitzenkandidatin, die "eine Mischung aus Kompetenz und Charme" verkörpert. Das war`s. Der Parteitag dankte seinem Parteichef mit stehenden Ovationen. "Da ging eine Westerwelle durch die Halle", schwärmte die Tagungsleitung, auch wenn für manchen Delegierten nach eigenem Bekunden "Europa zu kurz" kam. In Westerwelles Umgebung wurde diese Strategie mit dem unliebsamen Ausgang der Europa-Wahl vor fünf Jahren gerechtfertigt. Damals führten die Blau-Gelben einen ausgeprägten außenpolitischen Wahlkampf - und landeten mit drei Prozent in der politischen Versenkung. Mit Selbstbeschwörungen nach Europa

Bei der Neuauflage am 13. Juni soll alles besser werden. Gerade deshalb dominierten die Selbstbeschwörungen. Westerwelle peilt eine Neuauflage des Bundestagswahlergebnisses (7,4 Prozent) an. Demnach könnten bis zu acht deutsche Liberale ins Europaparlament einziehen. Silvana Koch-Mehrin, die als Spitzenkandidatin mit 92 Prozent der Delegiertenstimmen ein "Traumergebnis" (Westerwelle) einfuhr, zeigte sich etwas bescheidener: Schon 35 Prozent der FDP-Stimmen bei der Bundestagswahl würden reichen, um die Liberalen über die Fünf-Prozent-Hürde ins Europa-Parlament zu hieven. Vorausgesetzt, die Wahlbeteiligung fiele mit 45 Prozent ähnlich niedrig aus wie vor fünf Jahren. Zum Ärger der Delegierten pochte Peter Landauer noch regelmäßig bis zum sechsten Listenplatz auf seine Unterschriftenforderung in Sachen Lobbyismus-Verbot. Natürlich ohne Erfolg. Wer in Brüssel sitze, dürfe "nicht Vertriebsplattform für wirtschaftliche Eigeninteressen sein", meinte er frustriert. Immerhin gelobte Frau Koch-Mehrin Offenheit und Transparenz, falls sich bei ihr ein "Interessenkonflikt" abzeichne.

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