Wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde

TRIER/FLIESSEM. Seit gestern bemüht sich das 1. Schwurgericht beim Landgericht Trier, die Hintergründe eines brutalen Angriffs auf eine 31-jährige Frau in der Eifelgemeinde Fließem aufzuklären. Die Arbeit wird durch Gedächtnislücken des mutmaßlichen Täters erschwert.

Jerzy P. ist einer von jenen Angeklagten, bei denen es besonders schwer fällt, zwischen dem Erscheinungsbild im Gerichtssaal und der vorgeworfenen Tat einen Zusammenhang herzustellen. Blass, mit hängenden Schultern, leise, höflich, geradezu sanft wirkt der 42-Jährige bei seiner Aussage. Die Richter spricht er mit "Euer Ehren" an, und wenn ein Gutachter etwas von ihm wissen will, dreht er sich aufmerksam in Richtung des Fragestellers. Und dann diese Tat. Die Anklage hält ihm vor, seiner trennungswilligen Lebensgefährtin aufgelauert und sie vor ihrer Haustür mit einem Zimmermannshammer halb tot geschlagen zu haben. Erst auf den Körper, dann auf den Kopf, immer wieder, "mit voller Wucht", wie es in der Anklageschrift heißt. Als sie schon auf dem Boden lag, so schildern es Zeugen, trat er weiter auf sie ein. Erst die Schreie einer mutigen Nachbarin, die beherzt eingriff, beendeten seine Raserei. Bereitwillig schildert Jerzy P. seinen Werdegang und die Vorgeschichte der Tat. Wie er Frau und Kindern Ende der 80er- Jahre aus Polen nach Deutschland folgte. Wie die Ehe an seiner Montage-Arbeit, aber auch an seinen Alkoholproblemen und an seinem notorischen Geiz scheiterte. Wie er eine allein erziehende Frau kennen lernte, sie bewunderte, attraktiv fand, und mit ihr gemeinsam von einer kleinen selbstständigen Existenz träumte. Wie Eifersucht ins Spiel kam, von beiden Seiten. Wie es immer öfter Streit gab. Nur an die Tat selbst will er sich nicht erinnern können. Seine Freundin habe ihn abgewiesen und nicht in ihrer Wohnung haben wollen. Er sei trotzdem hingefahren, habe einen Hammer mitgenommen, um notfalls die Tür einzuschlagen und ein Gespräch zu erzwingen. Dann habe er abends um 11 Uhr im Flur gestanden, als sie mit ihrem Ex-Partner vom Hunde-Ausführen nach Hause kam. Und dann könne er sich an nichts mehr erinnern - bis er eine Stunde später die Polizei anrief. Jerzy P. verwickelt sich in Widersprüche. Bei früheren Aussagen konnte er sich besser erinnern, und das Gericht hält ihm die Akten konsequent vor. Er verheddert sich, bestreitet selbst Vorgänge, die mehrere Zeugen bestätigen. Sein Anwalt kann ihn nicht davon abhalten, sich unnötig zu beschädigen. Dabei siedelt die Tat so eng im Grenzbereich zwischen Totschlag und Mord, dass Kooperation für den Angeklagten lebenswichtig ist."Ich wollte nur, dass Du mich in Ruhe lässt"

Zumal das Opfer, auch als Nebenklägerin vertreten, mit einer bemerkenswert sachlichen, von Hass freien Aussage überzeugt. Mit seiner Eifersucht und seinem Geiz habe der Angeklagten "ein Zusammenleben unmöglich gemacht". Sie habe "einfach nur gewollt, dass er mich in Ruhe lässt". Einen klaren Schlussstrich, der ihr die folgende Tragödie vielleicht erspart hätte, vermochte sie freilich auch nicht zu ziehen. Für einen möglichen Angriff von Jerzy P. gab es allerdings aus Sicht des Opfers "nicht den geringsten Anlass". "Ich habe nie im Leben erwartet, dass Du zuschlägst", sagt sie, an den Täter gewandt, "ich habe das nicht verdient." Zehn Seiten umfasst der medizinische Bericht über die Verletzungen der 31-Jährigen. Ein Wunder, dass sie überlebt hat, ein zweites, dass sie von schwerwiegenden Entstellungen verschont blieb. Die Schmerzen und die Angst vor möglichen Spätfolgen kann ihr dennoch niemand nehmen. Das Verfahren wird heute mit einem Ortstermin in Fließem fortgesetzt.

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