"Wir sind hier nicht bei RTL"

TRIER. Ein Gericht mit eigenem Spielzimmer für Kinder: Auch das gibt es in Trier. Beim Familiengericht spielen kleine Leute manchmal eine große Rolle.

Wer Familiengerichte nur aus den nachmittäglichen Fernsehshows kennt, reibt sich bei Richter Jörg Theis erst einmal verwundert die Augen. Keine große Gerichts-Bühne ist hier aufgebaut, Theis verhandelt in seinem Büro. Vor seinem nüchternen Schreibtisch sind links und rechts zwei kleine Beistelltische zwecks Aktenablage aufgestellt, Stühle gibt's nach Bedarf. Das sieht mehr nach Be- als nach Rechtssprechung aus. Aber trotz der betont nüchternen Atmosphäre gibt es immer wieder Klienten, die ihre Fernseh-Erfahrungen auf die Realität übertragen. "Da muss ich dann darauf hinweisen, dass wir hier nicht bei RTL sind", sagt der Richter. Aber solche Entgleisungen seien "doch eine Ausnahme". 13 Fälle hat er an diesem Vormittag angesetzt, da bleibt wenig Zeit für große Spektakel. Unterhaltsansprüche, Vaterschaftsfeststellung, Umgangsrecht, dazu ein ganzes Paket von Scheidungen: Die meisten Fälle, so viel ist nach der Aktenlage absehbar, werden wohl zügig über die Bühne gehen. Richter Theis nennt das "eine Mischkalkulation". Rund 450 Fälle hat ein Familienrichter jährlich abzuwickeln, 1200 sind es insgesamt am Trierer Amtsgericht in der Christophstraße. Da ist Effizienz gefragt. Bei kniffligen Fällen muss Theis das Zeitbudget großzügiger kalkulieren. Strittige Scheidungsfälle, bei denen es um die Kinder geht, bedürfen häufig einer ausführlicheren Beratung. "Da wird oft Krieg geführt", sagt ein versierter Scheidungsanwalt, der im Flur auf das nächste Verfahren wartet. Das sei "die dunkle Seite des Familienrechts", meint auch Jörg Theis. Da muss ein Richter nicht nur Jurist, sondern auch Psychologe und Sozialarbeiter sein, schließlich kann er in seinem Urteil exakt festlegen, wie der Umgang in der "Familie" geregelt wird. Doch an diesem Morgen stellt sich erst einmal ein ganz anderes Problem: Der Noch-Ehemann ist zu seinem lange terminierten Scheidungsverfahren gar nicht erst gekommen. Seine Frau sitzt da mit ihrem Anwalt und schaut betrübt ob der Verzögerung. Da lässt die Justiz nicht mit sich spaßen: Jörg Theis verhängt 200 Euro Ordnungsgeld und droht dem Abtrünnigen die Zwangsvorführung an. Oft kommt das nicht vor, aber wenn, dann sind es die Männer, die durch Abwesenheit glänzen.Schnelle Scheidung: In zehn Minuten gehalten

Beim nächsten Scheidungsfall geht es friedlicher zu: Das Demnächst-Ex-Ehepaar ist sich einig. Das spart Nerven und Geld, denn in diesem Fall reicht es, wenn ein Partner den Scheidungsantrag stellt, und nur er braucht dann einen Anwalt - was die Kosten spürbar senkt. Gerichtskosten und Anwaltsgebühren richten sich nach dem Streitwert, der durch das Einkommen bestimmt wird. Nach zehn Minuten ist das Scheidungsverfahren abgewickelt, die Verhandlung war nicht öffentlich. Das Scheidungs-Urteil als solches muss aber öffentlich verkündet werden, weshalb Richter Theis an diesem Vormittag pausenlos das Schild an seiner Bürotür wendet, das mitteilt, ob gerade mit oder ohne Publikum verhandelt wird. Man steht sogar extra auf, das Ende der Ehe wird feierlich "im Namen des Volkes" besiegelt. Der Gesetzgeber will es so, die Ehescheidung soll juristisch wohl nicht das werden, was sie im Alltag längst ist: ein Allerweltsvorgang. Jörg Theis gehört zu den experimentierfreudigeren Vertretern seiner Zunft. Eine gewichtige Rolle in seinen Verhandlungen spielt das Spracherkennungssystem. Noch ist das Zauber-Programm in der Erprobungsphase, aber Theis ist mit dem Ergebnis "schon ziemlich zufrieden". Der Computer gibt eingermaßen korrekt in Schriftform wieder, was sein Herr und Meister in das Headset-Mikrofon gesprochen hat. Kaum ein Anwalt verlässt den Raum, ohne über das System zu fachsimpeln. Derweil wartet ein jugendliches Pärchen draußen auf seinen Aufruf - zumindest sehen sie so aus, als seien sie gerade den Kinderschuhen entwachsen. Von drei freien Stühlen halten sie die jeweils äußeren besetzt. Ein Vertreter des Jugendamtes ist mit dabei, denn es geht um die Feststellung einer Vaterschaft. Der Junge will gerichtlich ausgewiesen haben, ob er wirklich der Erzeuger ihres Babys ist. Daran gibt es laut Testergebnis nicht den geringsten Zweifel. Zieht er die Klage durch, kostet es Geld. Man verständigt sich: Eine freiwillige Anerkenntnis wäre wohl der gescheiteste Weg. Reihenweise muss sich das Gericht mit Unterhaltsklagen herumschlagen. Dabei steht meist außer Zweifel, dass die Beklagten, in der Regel die Väter, zahlen müssen. Aber der eine hat gerade kein Geld, weil er ein Restaurant eröffnet hat, der andere will den Kindesunterhalt mit der KFZ-Steuer verrechnen. Aber da haben sich die "Drückeberger" verrechnet, mit Ausreden kommt man beim Familiengericht nicht weit. Aber nicht immer konstatiert Richter Theis das Bröckeln väterlicher Moral. Der junge Mann beispielsweise, der als nächster anrückt, will das Umgangsrecht mit seiner "unehelichen" einjährigen Tochter sogar einklagen. "Eine wachsende Tendenz", stellt Jörg Theis fest. Oft versucht die Kammer dann, eine behutsame Einbindung des Vaters zu erreichen, meist begleitetet von Jugendämtern oder Sozialdiensten. Da gebe es "eine gute Zusammenarbeit", versichert der Jugendrichter. Gute Zusammenarbeit gibt es zuweilen sogar bei trennungswilligen Paaren. Kürzlich, erzählt ein Anwalt, habe die längst getrennt lebende Ehefrau ihrem Noch-Gatten vorsorglich einen Schlips zur Verhandlung mitgebracht. Schließlich habe er, so verkündete sie auf dem Flur, schon immer dazu tendiert, bei offiziellen Terminen etwas schlampig aufzutreten.

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