Wissbegier nutzen

MAINZ. Kinder wollen lernen – und dies nicht erst in der Schule. Daher plädieren Erziehungswissenschaftler für mehr Vorschule im Kindergarten. Nur Betreuung oder soziales Lernen von Verhaltensweisen ist zu wenig, sagt die Erziehungswissenschaftlerin Christa Preissing.

Ob Bildungsexpertin oder Ökonom, in einem sind sich Wissenschaftler einig: Die fruchtbare Entwicklungszeit von Kindern vor der Schulpflicht muss erheblich besser zur Förderung des Nachwuchses genutzt werden. Bislang habe immer die Angst vor einer "Verschulung" des Kindergartens und vermeintlichem Leistungsdruck viele neue Ansätze verhindert, so die Soziologin Christa Preissing bei einem Bildungskongress zu den Zukunftschancen für Kinder in Mainz. Doch das bisher weit verbreitete soziale Lernen ist nach ihrer Auffassung zu wenig, um Kinder frühzeitig zu fördern und ihre Lern- und Leistungsbereitschaft zu nutzen. Spracherziehung, Grunderfahrungen im Schreiben, mit Naturwissenschaften, Mathematik oder Technik fallen laut Preissing beim Nachwuchs auf fruchtbaren Boden. Zudem erhalten Kindertagesstätten aus ihrer Sicht immer mehr Gewicht, um soziale Benachteiligungen bereits bei Zwei- oder Dreijährigen möglichst auszugleichen. Dabei geht es nicht nur um Einwandererkinder, sondern auch um milieugeschädigte Jungen und Mädchen. Doch auch für Einzelkinder ist nach ihrer Meinung die Herausforderung durch andere Kinder wichtig, um Wissbegier und Lernpotenziale zu wecken. Sie schlägt vor, das erste Kindergartenjahr beitragsfrei zu stellen. Frühzeitige Bildung sei nicht nur pädagogisch sinnvoll, das Erkennen von Defiziten und Fördern von Begabungen rechne sich auch ökonomisch, sagte der Vorsitzende der fünf Wirtschaftsweisen, Professor Bert Rürup. Ein Vorschuljahr habe die ähnliche Bedeutung für die Bildungskarriere wie ein Schuljahr, sei jedoch finanziell erheblich günstiger. Der Vorschulbereich wird laut Rürup bisher in Deutschland erheblich vernachlässigt. Die gesellschaftlich positiven Folgen durch bessere Bildung, geringeres Risiko von Arbeitslosigkeit und weniger soziale Trennung legen nach seiner Auffassung nahe, Elternbeiträge für Kindertagesstätten grundsätzlich abzuschaffen. Zumindest das dritte Kindergartenjahr als Vorschule müsse kostenfrei und möglichst verpflichtend für alle sein. Bildungsministerin Doris Ahnen verwies auf das für Rheinland-Pfalz bereits beschlossene beitragsfreie dritte Kindergartenjahr, das ab Januar 2006 gilt und das das Land 25 Millionen Euro jährlich kostet. Daneben werden acht Millionen Euro für Sprachförderung bereitgestellt und Kindergartengruppen für Zweijährige geöffnet. Durch die frühe Förderung soll nicht nur der enge Zusammenhang zwischen sozialer Benachteiligung und Bildung aufgebrochen werden. Angesichts der Bevölkerungsentwicklung könne es sich die Gesellschaft nicht leisten, auf das Ausschöpfen aller Bildungsmöglichkeiten zu verzichten.

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