Würde antasten verboten!

TRIER. (len) Was heißt "soziale Gerechtigkeit"? Im Rahmen des Forums Kirche-Wirtschaft in der katholischen Akademie stellte Bischof Reinhard Marx dar, wie Gerechtigkeit in der heutigen Gesellschaft aussehen kann.

Die Kassen sind leer, die Sozialpolitik ist im Umbruch - und trotzdem muss die Gesellschaft ihrer Verantwortung gegenüber allen Menschen gerecht werden. "Bildung, Familie und Arbeit bilden das Fundament für soziale Gerechtigkeit", sagte Marx. Gekennzeichnet sei die Moderne durch ein nahezu undurchschaubares Netz von Abhängigkeiten der Menschen untereinander. "Wir sind abhängig von jemandem, den wir nicht einmal kennen", erklärte der ehemalige Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der Theologischen Fakultät in Paderborn. "Diese Abhängigkeiten müssen vom Staat in ein System gebracht werden." In der heutigen Zeit seien viele Entscheidungen der Freiheit des Einzelnen überlassen. Marx: "Die moderne Gesellschaft setzt voraus, dass die Menschen mit ihrer Freiheit gut umgehen. Die privatesten aller Entscheidungen des Menschen sind von höchstem öffentlichen Interesse. Man kann einen Menschen nicht dazu zwingen, Kinder zu zeugen - aber es ist für die Gesellschaft notwendig." Grundlage allen Handelns des Staates ist sein Weltbild. "Die Würde des Menschen ist unantastbar", heißt es im ersten Artikel des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. "Das Menschenbild der Bibel drückt sich in diesem Satz aus", sagte Marx. "Kein Sozialgesetz ist denkbar ohne eine Vorstellung davon, was Menschenwürde ist." Dafür einzustehen, dass jeder Mensch bekomme, was ihm zustehe, sei die Aufgabe eines jeden Einzelnen. Als problematisch bezeichnete Marx das Prinzip: "Was Du eingezahlt hast, bekommst Du zurück." Vielmehr sei gegenseitige Verantwortung notwendig, um die Forderung nach Gerechtigkeit umzusetzen. Marx: "Niemand kann sich eine Krebsoperation ansparen." Wenn die Kassen leer sind, könne der Staat durchaus sparen. Seine Grundsätze aber dürfe er nicht aus den Augen verlieren. "Die Höhe der Sozialhilfe wird immer umstritten sein - aber sie wird nicht willkürlich sein", sagte Marx. Wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse schlechter würden, müssten nicht alle Leistungen aufrecht erhalten werden. Alle Menschen müssten aber das haben, was das Menschsein ausmache: ausreichend Nahrung, ein Dach über dem Kopf und die Möglichkeit zu arbeiten. Grundsätzlich sei ein Umbau des Sozialstaats nötig, meinte der Bischof. Der Staat dürfe seine Verantwortung aber nicht auf die Grundrisiken beschränken. Marx: "Chancengleichheit gehört zum Sozialstaat." So sollten etwa alle Menschen die gleichen Möglichkeiten zu einer Ausbildung haben. "Es ist ökonomisch günstig, das Bildungspotenzial der Gesellschaft auf alle Schichten auszudehnen." Der Trierer Bischof sprach sich gegen einen "Betreuungsstaat" aus: "Der Staat muss den Menschen helfen, darf ihnen aber nicht das abnehmen, was sie selber tun können."

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