Zerstörte Idylle

DENSBORN. Letztes Geleit für einen Soldaten: Ein ganzer Ort trägt Trauer bei der Beerdigung des Fernmelders Jörg Baasch, der in Afghanistan ums Leben kam.

 Geistlicher Trost für die Angehörigen: Drei Pfarrer begleiten den Trauerzug in Densborn.Foto: Willi Speicher

Geistlicher Trost für die Angehörigen: Drei Pfarrer begleiten den Trauerzug in Densborn.Foto: Willi Speicher

Es ist still in Densborn. So still, dass man nach Passieren des Ortsschilds unwillkürlich das Autoradio ausschaltet - es könnte stören. Dabei sind viele Leute auf der Straße. Sie gehen alle in die gleiche Richtung, den steilen Anstieg zur Pfarrkirche hinauf. Aber die Menschen reden, wenn sie überhaupt reden, im Flüsterton, auch wenn sie noch lange nicht in Hörweite des Friedhofs sind. 650 Einwohner hat der Ort, kaum weniger Menschen drängen sich in das zeltförmig gebaute Gotteshaus.Geduldig haben sich alle zuvor in eine Kondolenzliste eingetragen und den aufgebahrten Sarg gesegnet, der neben einem Meer von Kränzen steht. Sie gelten dem Sportsfreund, dem Klassenkameraden, dem Nachbarn."Warum?" Unausgesprochen steht die Frage auf jeder Schleife. "Warum?", fragt auch der Militär-Pfarrer und bekennt, keine Antwort zu haben. In der Trauergemeinde ist jene Mischung aus Verzweiflung, Mitgefühl und ohnmächtiger Wut spürbar, die aufkommt, wenn ein Mensch stirbt, der sein Leben noch vor sich hatte.Es hätte auch ein jugendliches Unfall-Opfer sein können, das hier beerdigt wird. Aber Jörg Baasch ist nicht nach der Disko mit dem Motorrad verunglückt wie so viele. Er starb tausende Kilometer entfernt, in Kabul, weil ihn ein Irrer (oder ein in die Irre Geführter) in die Luft sprengte. Vielleicht einer, der genau so jung war, der nicht einmal wusste, wie sein Opfer aussah. Baaschs Porträtfoto steht vor dem Altar. Ein Mittzwanziger mit offenem Gesicht, markantem Kinn, Drei-Tage-Bart. Ein Foto, wie man es unter anderen Umständen Jahrzehnte später amüsiert im Familien-Album betrachtet. Eltern, Schwester und Freundin sitzen vis-à-vis in der ersten Reihe - weiß Gott, wie sie diesen Blick-Kontakt eine Stunde lang aushalten.Jörg Baasch war ein Junge vom Dorf. In dieser Kirche, sagt der Gemeindepfarrer, sei er getauft worden, zur Kommunion gekommen, habe er die Messe gedient. "Und wahrscheinlich hätten hier bald die Hochzeitsglocken geläutet", fügt er leise hinzu. Die Tragik wird fast mit Händen greifbar.An diesem Nachmittag kreuzen sich in dem kleinen Eifelort das Dorf-Geschehen und die Weltpolitik auf fatale Weise. "Ich dachte immer, den Horror gäbe es nur im Fernsehen", sagt ein früherer Schulkamerad. "Der Horror", das sind die Kriege, die Selbstmord-Anschläge, die Bilder aus einer scheinbar anderen Welt. Mit dem toten Jörg Baasch sind sie gnadenlos in die Idylle eingedrungen.Und alle fragen nach dem Sinn. "Wenn er in der Krieg gezogen wäre, könnte ich es noch verstehen. Aber er war doch mit der Friedenstruppe unterwegs", räsoniert ein Mädchen. Auch der Gemeindepfarrer betont das Friedens-Engagement - vielleicht lässt sich aus der "guten Sache" Trost für die Angehörigen destillieren.Von einem "ehrenvollen Einsatz" predigt auch der Bundeswehr-Geistliche - und blickt dabei zu Baaschs verletzten Kameraden, die gekommen sind. Die Gesichter zugepflastert, gezeichnet an Körper und Seele. Aber sie haben den Anschlag überlebt, bekommen eine zweite Chance. Und ihren Frauen, die sie begleiten, steht das Entsetzen ins Gesicht geschrieben, als würden sie erst jetzt wirklich begreifen, wie knapp ihre Partner dem gleichen Schicksal entronnen sind.Jörg Baasch war Fernmelder. Nicht gerade der Truppenteil mit dem größten Gefährdungspotenzial. "Mit so etwas hat doch niemand in irgend einer Weise gerechnet", sagt der Militär-Pfarrer. Ein Irrtum, der für den Stabsunteroffizier aus der Eifel tödlich endete. Hunderte von Menschen begleiten den Trauerzug bis ans Grab. Die Schilder mit dem Kameraverbot sind überflüssig, das große Medien-Aufgebot ist heute bei den Beerdigungen von Möllemann und Pfitzmann. Vielleicht ist es gut so. Die kleine Trommel wird ganz leise geschlagen, dennoch hört man sie bis in die letzte Reihe des Zugs. Es ist still in Densborn.

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