Zu viele Einzelkämpfer

Sie sind häufig unaufmerksam, unruhig und impulsiv, bringen ihr Umfeld in Wallung und sich nicht selten ins Abseits: Kinder mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung). Ein neues landesweites Versorgungskonzept soll Kindern und Eltern helfen.

Mainz. Kinder und Jugendliche, die an ADHS oder ADS leiden, sind mehr als nur der berühmte Zappelphilipp, sagt Kinderarzt Jürgen Fleischmann aus langjähriger Erfahrung: Bei bis zu 70 Prozent der Betroffenen kommen Störungen vom schwierigen Sozialverhalten bis zu Angst- oder Ess-Störungen dazu. Zwischen vier und sechs Prozent der Kinder, so die Beurteilung der Mediziner, sind wegen ADHS behandlungsbedürftig. Damit liegt der Anteil deutlich unter den Einschätzungen vieler von den Folgen betroffener Eltern, Erzieher oder Lehrer, wie Studien zeigen.Mit einem modellhaften Vertrag zwischen Ersatzkassen, Kinderärzten sowie Kinder- und Jugendpsychologen und -therapeuten wird landesweit ein fächerübergreifendes Behandlungsangebot eingerichtet, das frühzeitig Hilfe bietet und vor allem auf das Zusammenspiel von medizinischer und therapeutischer Versorgung setzt. Aus regionalen Netzwerken heraus können Behandlungsteams gebildet werden. In regelmäßigen Fallkonferenzen wird die Entwicklung besprochen. Eltern werden in speziellen Trainings für die Situation ihres Nachwuchses sensibilisiert.Von der Müdigkeit bis zum Ausrasten

Bislang gebe es zu viel Einzelkämpfertum in diesem Bereich und zu viel falsches Wissen, so Psychotherapeut Andreas Staub. Eine abgesprochene Behandlung im Team werde die Qualität merklich bessern, ist er sicher. Noch immer gibt es keine umfassene Erklärung der Ursachen für die Störung der Selbststeuerung, bei der im Regelfall auch der Mangel am Botenstoff Dopamin ein Rolle spielt. Genetische Vorbelastungen zusammen mit Spannungen im persönlichen Umfeld, Reizüberflutung oder einer Überforderung des Kindes können offenbar zum Ausbruch von ADHS führen."Die Kinder handeln einfach drauf los, speichern das Ergebnis ihrer Aktivität nicht ab und können später nicht auf entsprechende Erfahrungen zurückgreifen", so der Mediziner und Jugendtherapeut Gundolf Berg. Sie werden daher schnell zum Unruheherd und sind oft emotional sehr labil - von der Müdigkeit bis zum Ausraster. Die Therapie reicht von Strategien für die Kinder zum Umgang mit ADHS über Veränderungen des Umfelds bis zu Elterntraining und Medikamenten. Dabei macht allerdings Kinderarzt Fleischmann oft die Erfahrung, dass Medikamente falsch eingesetzt werden: Sie seien keine Beruhigungsmittel, die bei Bedarf heraufgesetzt werden, sondern Aufputschmittel, die richtig dosiert werden müssen, um eine gezielte Konzentration zu erreichen. Allerdings warnen die Experten generell vor einer vorschnellen Diagnose ADHS. Immer wieder zeigen genauere Untersuchungen, dass andere Ursachen für die Überaktivität vorliegen - bis hin zu Seh- oder Hörstörungen. Weitere Infos unter Telefon 0681/9267126.

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