Zwischen Nostalgie und Selbstironie

TRIER. Heiß diskutiert und praktiziert vor 30 Jahren: die antiautoritäre Erziehung. Zwei Frauen berichten, wie sie als Mütter die Zeit erlebten. Als Alternative zu konfessionellen Kindergärten gründeten sie zusammen mit anderen in Trier den "Kinderladen", der Teil einer damals bundesweiten Bewegung war.

 Kindergartenkinder heute: Einige Elemente der antiautoritären Erziehung haben sich durchgesetzt und gelten inzwischen als selbstverständlich.Foto: TV -Archiv/Sybille Theiss

Kindergartenkinder heute: Einige Elemente der antiautoritären Erziehung haben sich durchgesetzt und gelten inzwischen als selbstverständlich.Foto: TV -Archiv/Sybille Theiss

Wohl kaum ein Erziehungsstil hat die Gemüter der Gegner und Befürworter erhitzt wie derjenige der antiautoritären Erziehung. "Die Zeit war reif, man hat alles hinterfragt", meint Marianne Bauer-Tischleder, 57 Jahre, Mutter von vier Kindern. Und Gabi Rüffer, 49 Jahre, Mutter einer Tochter, ergänzt: "Die Idee lag in der Luft." Die beiden Frauen gehören zu denjenigen, die vor 30 Jahren den Kinderladen - einen privat organisierten Kindergarten - im Trierer Exzellenzhaus gründeten, der sich überwiegend aus Mitgliedsbeiträgen finanzierte. Das damalige Angebot an Kindergärten in Trier war den jungen Müttern zu konfessionell, die Betreuungszeiten zu unflexibel. "Es fehlten Alternativen wie später der Waldorf- oder Montessorikindergarten."Mit einer Gruppe von Gleichgesinnten wurde der Kinderladen ins Leben gerufen - nicht ohne Ideologisierung. "Die Elternarbeit war anstrengender als die Kinderarbeit", erinnert sich Gabi Rüffer schmunzelnd. Nicht nur, dass sich Mütter und Väter reihum neben zwei Angestellten in der Betreuung abwechselten und zeitaufwändige Putz- und Kochdienste übernahmen. Jeder Tag im Kinderladen wurde protokolliert, die Ergebnisse in wöchentlichen Elternabenden heiß debattiert und die anfallenden Probleme diskutiert. Schließlich hatte man Neuland betreten.Sie wussten nur: So nicht!, wenn sie an die eigene Kindergartenzeit mit teils drastischen Erziehungsmethoden oder das vorhandene Betreuungsangebot dachten. Ideale entstanden wie Sozialisation, Lernen ohne Druck, Autonomie, keine geschlechtsspezifischen Erziehungsunterschiede oder die freie Gestaltung des Tages. "Es sollte eine freie Erziehung sein, aber kein laissez-faire."Probleme blieben freilich nicht aus. "Aggressionen waren ein Dauerthema", erinnert sich Bauer-Tischleder, "manche Kinder waren einfach überfordert." Grenzen zu setzen ohne zu sehr einzuengen, das sei sehr schwierig gewesen, fügt Rüffer hinzu. Die Kinder sollten sozial erzogen werden: Solidarität mit allen, keine Ausgrenzung schwacher oder kranker Menschen. "Rücksichtnahme auf alle Menschen dieser Erde", sagt Rüffer lachend."Ziemlich gut, wie ihr das damals gemacht habt"

Und wie sie es sagt, schwingt eine leichte Portion Selbstironie mit. Sie glaubt, dass mit der Kinderladenzeit etwas in Gang gesetzt wurde, was heute in der Erziehung normal ist. Schließlich versuchte man, bei Entscheidungsfragen die Kinder mit einzubeziehen. Ein Erziehungsziel, das heute längst Standard in Familien undErziehungseinrichtungen sein sollte."Die Kinder kennen sich noch heute gut. Die Eltern der anderen, die ehemaligen Betreuer, sind ihre Freunde", berichtet Rüffer. Der Übergang von der Kinderladenzeit in die Schule sei reibungslos verlaufen. "Vielleicht, weil sie schon stressgeprüft waren", sinniert Bauer-Tischleder.Ihrem heute 32-jährigen Sohn, einem Soziologen, attestiert sie eine "sehr soziale Art und große Lust am Austausch mit anderen Menschen". Auch Gabi Rüffers Tochter hat nach einer Lehre studiert. Ein kleines bisschen Stolz auf eine aktiv gestaltete Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs schwingt mit, als sie feststellt: "Meine Tochter hat gesagt: Das war ziemlich gut, wie ihr das damals gemacht habt."

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