Zwischen Stress und purem Vergnügen: 50 Jahre Molkerei in Pronsfeld

Pronsfeld · Seit einem halben Jahrhundert wird in Pronsfeld Milch verarbeitet. Viel hat sich geändert, wie ein Gespräch mit einem "alten Hasen" und einer jungen Auszubildenden zeigt. Doch die Basis für eine erfolgreiche Arbeit ist in den fünf Jahrzehnten gleichgeblieben.

 Das Luftbild zeigt eines der modernsten Milchwerke der Welt. Pronsfeld 2017 und das Werk vor etwa 50 Jahren (Bild unten). Fotos (3): Arla

Das Luftbild zeigt eines der modernsten Milchwerke der Welt. Pronsfeld 2017 und das Werk vor etwa 50 Jahren (Bild unten). Fotos (3): Arla

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Pronsfeld Es ist ein außergewöhnliches Treffen: Michel Heckemanns war einer der ersten Lehrlinge im Milchwerk der Milch Union Hocheifel (Muh), die im neu erbauten Werk in Pronsfeld ihre Ausbildung begannen. Julia Cremer, 22 Jahre, ist im dritten Lehrjahr in der Ausbildung zur Milchtechnologin. Und obwohl fast ein halbes Jahrhundert zwischen dem Berufsstart der beiden liegt, haben sie doch vieles gemeinsam. Beide kamen durch ein Berufspraktikum zur Molkerei, die seit 2012 nach einer Fusion zur internationalen Arla-Molkerei gehört. Beide kommen aus einem heimischen, landwirtschaftlichen Betrieb, und beide verbindet die Leidenschaft zur Milch. Doch als Michel Hecke-manns mit 17 Jahren 1969 zum ersten Mal bei der Muh zur Arbeit ging, schlugen die Uhren noch anders.
"Im landwirtschaftlichen Betrieb lief es damals nicht so gut, und ich musste mich nach einem Zuverdienst umschauen", erinnert sich Michel Heckemanns. Nach einem Praktikum stieg er 1969 dort ein. 1966 hatten bereits die Molkereien aus Üttfeld (1421 Mitglieder/knapp 18 Millionen Kilo Milchmenge), aus Bleialf (1111/20,1 Mio. kg) und Schönecken (1437/20,1 Mio. kg) fusioniert. Das neue Milchwerk in Pronsfeld war 1967 in Betrieb genommen worden.
Beim Start 1967 wurden rund 67 Millionen Kilo Milch in Milchpulver, Käse und Butter verarbeitet. Der Umsatz lag bei knapp 14 Millionen Euro. "Bei den etwa 70 Mitarbeitern hat natürlich jeder jeden gekannt", erinnert sich Heckemanns. Dessen Muh-Zeit wurde 1972/73 durch die Bundeswehr unterbrochen. Als er dann zurückkam, hatte er den Wunsch, eine ordentliche Ausbildung abzuschließen. "Der damalige Geschäftsführer Heinz Göbel hat dem zugestimmt, und die Ausbildung zum Molkereifachmann wurde auf zwei Jahre verkürzt, weil ich bereits eine Ausbildung als Landwirt hatte."
240 D-Mark verdiente damals ein Azubi. Bei etwa 90 Mitarbeitern gab es gerade einmal zwei bis drei Azubis. "Unser Berichtsheft, das wir führen mussten, wurde noch vom Geschäftsführer persönlich abgezeichnet", sagt der ehemalige Mitarbeiter. Zum Blockunterricht mussten die Azubis damals in die heute geschlossene Lehr- und Versuchsanstalt nach Krefeld. Heute reisen die Arla-Azubis nach Wangen im Allgäu zum Blockunterricht. Nach seiner Ausbildung hatte Hecke-manns schnell seine berufliche Passion entdeckt. "Ich war begeistert von den Anlagen zur Be- und Verarbeitung von Milch." 1972 hatte die Molkerei die Käserei eingestellt. "Ich habe das bedauert, wir haben einen exzellenten Gouda und Edamer produziert", erinnert sich Heckemanns. Doch gleichzeitig wurde die Spezialisierung auf H-Milchprodukte vorangetrieben. Der Aufstieg der Molkerei hatte hier ihren Startpunkt. Für Milchfachmann Heckemanns ging es auch beruflich bergauf. 1976/77 machte er seinen Meister, 1978 wurde er Abteilungsleiter der Milchtrocknung und stellvertretender Betriebsleiter und 1980 dann Betriebsleiter. In diesem Jahrzehnt hatte die Molkerei viele Aktivitäten angeschoben: 1970 eine Großbäckerei und den Frischedienst (beide 2000 verkauft), um die Landwirte zu unterstützen. 1980 wurde die Butterei erweitert. Für Heckemanns bedeutet die Erweiterung immer wieder neue Herausforderungen, neue Anlagen und Abläufe, neue Produktionslinien. "In all den Jahren gab es eigentlich nie eine Phase, in denen nicht neue Herausforderungen zu bewältigen waren." Eine ganz besondere hatten die damaligen Mitarbeiter in den 80er Jahren vor der Brust. Still und heimlich hatte die Molkerei in Pronsfeld Minipackungen für Sahne und Kondensmilch entwickelt, auf Wunsch eines großen Discounters. Bis dahin wurde die Kondensmilch in Dosen abgefüllt und verkauft. Der Handel wollte sich aber von den wenigen Dosenmilchanbietern unabhängig machen. 82/83 kamen die ersten Sahneerzeugnisse im Minipack. Diese Karton- oder Weichverpackungen gab es in den Größen von 0,2 bis 0,5-Liter. "Durch die Branche ging ein Aufschrei. Es gab sogar eine einstweilige Verfügung, die ein Dosenmilchhersteller durchsetzen wollte", erinnert sich der damalige Betriebsleiter. Doch der Erfolg war nicht mehr zu bremsen, die Muh machte einen mächtigen Absatzschub und investierte immer weiter. So baute man eines der ersten Hochregallager mit 5000 Palettenstellplätzen in der Branche, und 1989 setzte Heckemanns die erste durchgängige Betriebsautomatisierung um. "Es war eine gewaltige Aufgabe. Damals konnten wir so etwas noch nicht am Computer planen", erzählt der ehemalige Werksleiter. "Ich habe mir Spannplatten besorgt, und mit Aluminiumdraht habe ich dann ein Rohrtrassenmodell aufgebaut zur Planung von Position und Verlauf für das gesamte Leitungsnetz aller Produkt- und Versorgungsleitungen des Milchwerks." Die Herausforderung: Leitungen mehrerer Ebenen kreuzungsfrei durch das ganze Werk bis zu ihren Anschlusspunkten zu führen. Bilder seiner Modellkonstruktion hat Heckemanns leider nicht mehr. "Aber das Original gibt es ja noch teilweise", sagt er schmunzelnd, denn die Umsetzung ins Werk hat gut funktioniert.
Wie sehr das Werk mit den immer größer werdenden Milchmengen mithalten musste, zeigen einige Zahlen: Zum Anfang wurden 67 Millionen Kilo Milch verarbeitet, mit der Fusion mit Mettendorf 1982 kamen rund 55 Millionen Kilo Milch jährlich dazu. Bei der Fusion von Muh und Arla 2012 schlossen sich bereits zwei Molkerei-Giganten zusammen. Die Muh ist damals die viertgrößte Molkerei in Deutschland, hat rund 800 Mitarbeiter und mehr als 2700 Genossenschaftsmitglieder. Der Jahresumsatz 2011 liegt bei 693 Millionen Euro, und Pronsfeld hat rund eine Milliarde Kilo Milch verarbeitet. Zum gleichen Zeitpunkt hat die internationale Arla 9,2 Milliarden Kilo Milch verarbeitet. Auf dem Weg dahin nahmen die Landwirte aus der Eifel als Eigner der Molkerei-Genossenschaft viel Geld in die Hand. "Seit den 90er Jahren haben wir jährlich einen zweistelligen Millionenbetrag in den Ausbau und die Verbesserung der Molkerei investiert", sagt Hecke manns. Sein großes Projekt war das 70-Millionen-Projekt für einen neuen Trockenturm und die Butterei. "Es war ein pures Vergnügen", erinnert sich Heckemanns. Denn in all den Jahren mussten Ausbau und Erneuerungen immer auf engem Raum und bei laufendem Betrieb umgesetzt werden. "Das war manchmal der Horror und hat mich viele schlaflose Nächte gekostet." Doch der Neubau auf dem Plateau war etwas ganz anderes. Die Planungen begannen 2008, die Landwirte standen voll hinter der Investition. "Der leider viel zu früh verstorbene Klaus Land, Manfred Graff und die ehrenamtlich tätigen Kollegen aus Vorstand und Aufsichtsrat hatten das Megaprojekt ihren Landwirten vorgestellt, die wirtschaftlichen Chancen und Risiken erläutert und diskutiert und eine überwältigende Mehrheit für das Projekt bekommen." Die Umsetzung mit 3-D-Plänen am Computer zeigten, wo der Weg hinführen sollte. Nach der Fusion mit Arla Foods 2012 gab es auch von deren Seite keine Einwände, und Michel Heckemanns konnte das Werk als Projektleiter zu Ende führen. "Was mir in all meinen Dienstjahren immer wieder den Spaß an der Arbeit gebracht hat, waren neben der Neugier an Neuem besonders das Engagement und die beherzte Unterstützung meiner Kollegen und Kolleginnen bei der Projektumsetzung", sagt Heckemanns.
Den Antrieb "Neugier" hat auch Julia Cremer. Die Auszubildende arbeitet heute in einem der modernsten Milchwerke der Welt. "Es ist für mich ein Traumjob." 2011 schnupperte sie in einem Praktikum in das Milchwerk rein. Und während ihres Abis schrieb sie auch noch ihre Facharbeit über das Unternehmen. "Wer einmal hier reingeschnuppert hat, kommt davon nicht mehr los", findet sie. Die Arbeit für sie findet im Labor oder am Computer statt. "Doch das Tolle ist, dass man überall hineinsehen kann." Wie Milch verarbeitet wird, zu H-Milch oder Trockenpulver, sind Prozesse, die die junge Frau interessieren. Durch Arla sei man in einem großen internationalen Unternehmen. So könnten die Azubis andere Werke der Gruppe besichtigen oder später auch im Konzern ihren Weg machen. "Bei übergreifenden Projekten ist Englisch die Werksprache", erzählt sie. Und einen Tipp von dem "alten Hasen" hat sie längst verinnerlicht: "In diesem Beruf muss man immer neugierig bleiben."
Das dabei nicht alles eitel Sonnenschein ist, hat auch Michel Heckemanns erfahren, wie er zugibt: "Natürlich gibt es auch Tiefs neben den Höhen in einem solchen Zeitraum. Am ehesten denke ich an die Folgen der Reaktorkatastrophe und das Bewältigen der Dioxinskandale. Auch der Streik der Bauern 2008 mit einer mehrtägigen Werksblockade war für mich eine besondere Erfahrung. Die Landwirte als Eigentümer der Molkerei hätten damals sich und der Molkerei arg geschadet. Denn Ziel der heute 1100 Mitarbeiter und knapp 60 Azubis sei es, Tag für Tag ein Produkt abzuliefern, das den Milchbauern den besten Milchpreis ermögliche. Und in den fast 50 Jahren bei der Molkerei sehe er heute, dass Qualität und Arbeitsschutz weiter an oberster Stelle stehen. "Das macht einen dann heute auch als nun Außenstehenden stolz", sagt Michel Hecke manns.Extra: DAS ARLA-WERK IN PRONSFELD IM STECKBRIEF

 Die Butterverarbeitung in den Anfangsjahren.

Die Butterverarbeitung in den Anfangsjahren.

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 Michel Heckemanns und Julia Cremer. TV-Foto: Heribert Waschbüsch

Michel Heckemanns und Julia Cremer. TV-Foto: Heribert Waschbüsch

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 Die Butterverarbeitung in den Anfangsjahren.

Die Butterverarbeitung in den Anfangsjahren.

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Gründung: 1967 Inbetriebnahme als Standort der damaligen Milch-Union Hocheifel Größe: Die Gesamtfläche umfasst 55 Hektar, das entspricht 77 Fußballfeldern Mitarbeiter: 1100 Mitarbeiter, darunter 60 Auszubildende in zwölf Berufen Verarbeitungsmenge im Jahr: etwa 1,7 Milliarden Kilogramm verarbeitete Milch in 2017 Weltweiter Export: 70 Länder rund um den Globus, darunter Ägypten, China, Kuwait und die Malediven Produkte: Trinkmilch, Sahne, Milchmischgetränke, Kondensmilch, Schmand, Milchpulver, Butter und Mischstreichfette

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