Obdachlos in der Region – Nicht jeder schafft es zurück ins Leben

Trier · Wer ohne Wohnung ist, lebt am Rande der Gesellschaft. Sichtbar wird diese extreme Form der Armut meist nur in den größeren Städten. Auch in Trier sind Menschen obdachlos. Sie erleben Stigmatisierung und Diskriminierung, aber auch Fürsorge und Hilfsbereitschaft – sofern sie sich darauf einlassen.

 Andreas T., genannt „Wolle“, ist stolz auf den Garten am Haus Tobias. Der ehemalige Obdachlose gilt in der Einrichtung als der Mann mit dem grünen Daumen.

Andreas T., genannt „Wolle“, ist stolz auf den Garten am Haus Tobias. Der ehemalige Obdachlose gilt in der Einrichtung als der Mann mit dem grünen Daumen.

Foto: Rainer Neubert

Andreas T. wird von allen "Wolle" genannt. "Das ist wegen meiner Haare", sagt der 56-Jährige und zeigt mit einem Grinsen auf seine grauen Locken. "Na ja, früher war da einmal mehr." Dass Wolle so gut gelaunt ist, liegt daran, dass er sich gut aufgehoben fühlt. Seit zwölf Jahren lebt er in einem Zimmer im Haus Lukas.

Gesichter der Armut

Diese Einrichtung des Caritasverbandes ist ein Mosaikstein im Bereich Wohnungslosenhilfe in Trier. Insgesamt 19 Männern und Frauen bietet das Haus im Norden Triers übergangsweise, in acht Fällen auch dauerhaft, eine betreute Unterkunft in Form von Wohngemeinschaften. Weitere fünf Plätze gibt es in der Außenstelle im Stadtteil Pfalzel. 243 Menschen wurden seit der Eröffnung 1995 aufgenommen.

Jeder kommt freiwillig:
"Wer zu uns kommt, tut das freiwillig", sagt Einrichtungsleiter Ralf Matheus. "Bevor diese Menschen Hilfe annehmen, müssen sie erst unten angekommen sein." Wohnungslosigkeit werde als selbst verschuldet betrachtet, dabei seien die Gründe dafür komplex und häufig mit Schicksalsschlägen, physischen und psychischen Erkrankungen verbunden. "Viele Betroffene sehen keinen Sinn mehr darin, sich zu engagieren. Sie versuchen einen eigenen Weg, den sie nicht schaffen, geraten zunehmend in die Isolation." Wenn die Wohnung weg ist, kommen die Menschen oft zunächst bei Freunden oder Verwandten unter. Am Ende stehen sie auf der Straße, ohne Einkommen, ohne Krankenversicherung. "Diese Menschen haben einen langen Leidensweg hinter sich. Der schnelle körperliche Verfall ist Obdachlosen anzusehen."

Keine genaue Statistik: Genaue Zahlen zu den Betroffenen gibt es nicht. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) geht von aktuell 40.000 Menschen aus, die in Deutschland ganz ohne Unterkunft auf der Straße leben. Weitere 295.000 Männer, Frauen und Kinder haben laut aktuellen BAGW-Schätzungen keine eigene Wohnung. Für Rheinland-Pfalz zählte das Statistische Landesamt im Jahr 2014 1500 Personen, die als Obdachlose in irgendeiner Form Sozialhilfe bekommen haben. Der Trierer Arbeitskreis Obdachlosigkeit schätzt die Zahl der unmittelbar Betroffenen in der Stadt auf 60 bis 80 Menschen.

Wenn das Schicksal zuschlägt: Auch Wolle gehörte vor seinem Einzug in das Haus Lukas zu ihnen. Auch in seinem Leben war vieles gleichzeitig schiefgelaufen, bevor er an den Rand der Gesellschaft rutschte. "Erst habe ich meine Frau in flagranti mit einem Kollegen erwischt. Ein knappes Jahr später bin ich arbeitslos geworden, weil die Firma Probleme hatte." Die Heiterkeit, mit der Wolle seine Geschichte erzählt, wirkt aufgesetzt. "Dann hatte ich die Schnauze voll. Ich habe einen Rucksack gepackt, den Wohnungsschlüssel in den Briefkasten meines Vermieters geworfen und bin per Anhalter nach Südfrankreich und dort zu Fuß am Mittelmeer entlang marschiert."
Das sei ein schönes Stück Lebenserfahrung gewesen, sagt der ehemalige Aussteiger, schmunzelt und versichert, er habe kein Alkoholproblem.

Irgendwann waren dann die Papiere weg, er musste zurück nach Trier und fand Unterschlupf im Benedikt-Labre-Haus, dem Übernachtungsheim an der Römerbrücke. Mit einem neuen Ausweis machte sich Andreas T. dann auf Tour in Deutschland. Aus dem Projekt Südfrankreich wurde aber nichts, weil bei einem seiner Freunde von der Straße eine offene Tuberkulose festgestellt wurde. "Da hat man mir erst einmal für die nächsten Monate untersagt, die Region zu verlassen. 2004 ist der gelernte Elektroniker in das Haus Lukas eingezogen, zunächst übergangsweise, wie alle Beteiligten glaubten, denn nach einer Wiedereingliederungsmaßnahme lockte eine Anstellung bei einem Schaltanlagenbetrieb. "Im Praktikum bin ich aber von der Leiter gefallen und habe mir den Ellbogen zertrümmert." An eine geregelte Arbeit war fortan nicht mehr zu denken. Das Zimmer in der Caritas-Einrichtung ist zum Langzeit-Wohnplatz geworden.

Im Hausmeisterteam und als Gärtner mit "grünem Daumen" gilt er längst als gut Seele im Haus Lukas. Wolle bekommt dafür einen Euro am Tag und den "Tritt in den Hintern", den er nach eigener Aussage ab und zu braucht. Eine schwere Lungenentzündung im November 2014 lähmte allerdings den neu gewonnenen Elan des 56-Jährigen.
Zurück in die Gesellschaft: Sozialarbeiterin Anja Willems, die sich mit einem Team von Mitarbeitern rund um die Uhr um die Bewohner kümmert, sieht im schlechten Gesundheitszustand ein wesentliches Merkmal für wohnungslose Menschen. "Je älter die Leute werden, desto schwieriger wird es." Auch Alkohol spiele häufig eine Rolle. "Die Leute verdrängen und vergessen." Im Haus Lukas sei es deshalb wichtiges Ziel, den Menschen soziale Kompetenzen wieder beizubringen.

Aber schaffen sie wieder den Weg zurück in die Gesellschaft? Die Antwort von Ralf Matheus klingt wenig optimistisch: "Es gibt Leute, die es schaffen. Aber wer zehn Jahre auf der Straße gelebt hat, der muss erst wieder lernen, die Zähne zu putzen." Probleme mit der Körperhygiene hat Wolle nicht. Aber das Leben in einer eigenen Wohnung kann er sich auch nicht mehr vorstellen. "Das hier ist doch wie meine Familie."
volksfreund.de/armut

Extra Podiumsdiskussion

Armut in Deutschland nimmt zu, geht zurück oder stagniert - je nach politischer Interessenlage machen unterschiedliche Interpretationen die Runde. Doch Armut ist nicht nur ein theoretischer Begriff, sondern auch in der Region Trier täglich präsent. Soziale Einrichtungen berichten von einer zunehmenden Anzahl von Menschen, die finanzielle Hilfen brauchen.
Das Thema steht im Mittelpunkt der Podiumsdiskussion "Gesichter der Armut" am Mittwoch, 22. Juni, 18 Uhr, im Palais Walderdorff in Trier (Domfreihof). Gesprächspartner sind Angelika Birk (Sozialdezernentin der Stadt Trier), Joachim Christmann (Leiter Geschäftsbereich II der Kreisverwaltung Trier-Saarburg), Prof. Dr. Rüdiger Jacob (Professur für Empirische Sozialforschung an der Universität Trier), Bruder Elias Brück (Barmherzige Brüder), Angelika Winter (Frauenbeauftragte der Stadt Trier) und Linda Rennings (Heimatlos in Köln - Hilfe für Obdachlose). Veranstalter ist das Aktionsbündnis "Aktiv gegen Armut", das sich auch auf einer neuen Internetseite vorstellt. Der Eintritt ist frei. r.n.

Die wichtigsten Hilfsangebote für wohnungslose Menschen in Trier:
.
Armenküche, Barmherzige Brüder e.V., Nordallee 1, Telefon 0651/208-2240,-1076; E-Mail br.elias@bk-trier.de
Bahnhofsmission, Am Hauptbahnhof Gleis 11 Nord, Telefon 0651/48875, E-Mail: hau.reinhilde@caritas-region-trier.de
Haus der Beratung - Ambulante Fachberatungsstelle für wohnungslose Menschen, Petrusstraße 28, Telefon 0651-2096-204.
Haus Lukas - Langzeitwohnheim für Männer (15 Plätze) und Paare (zwei Wohnungen), Caritas Trier, Telefon 0651/2096-204; E-Mail: gentgen.michael@caritas-region-trier.de
Benedikt-Labre-Haus - Übernachtungsheim (23 Plätze), Teestube und Orientierungsbereich (acht Wohnplätzen für Männer), Luxemburger Straße 2, Telefon 0651/881-30/-40.
Haltepunkt - Frauencafé, Tagestreff, Beratungsstelle für Frauen, Telefon 0651/9496-170, E-Mail m.kerscher@skf-trier.de
Haus Maria Goretti - Notaufnahmeheim für Frauen und Mädchen, Krahnenufer 23, Telefon 0651/9496-152, E-Mail: hmg@skf-trier.de
Resozialisierungszentrum Betreutes Wohnen, Feldstraße 2, Telefon 0651/9980324.
Trierer Tafel, Sozialdienst katholischer Frauen (Laden für Bedürftige), Krahnenstraße 33-34, Telefon: 0651/9496-0.
Werkstatt St. Martin, Schreinerei und Resozialisierungseinrichtung, Trierweilerweg 55, Telefon 0651/800313, E-Mail werkstatt-st-martin@caritas-region-trier.de r.n.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort