Inklusion: „Wir müssen Gesetze stärker auf die Menschen abstimmen“

Trier/Berlin · Seit einem Jahr ist Corinna Rüffer aus Trier Bundestagsabgeordnete. Als Sprecherin für Behindertenpolitik der Grünen-Fraktion liegt ihr das Thema Inklusion besonders am Herzen. Im Gespräch mit dem Trierischen Volksfreund erläutert sie, warum der Weg der Integration auch in der Schule noch weit ist.

Corinna Rüffer ist am vorläufigen Höhepunkt ihres jahrelangen gesellschaftlichen und politischen Engagements angekommen. Seit Oktober vorigen Jahres ist die 39-Jährige Mitglied der Grünen-Bundestagsfraktion. Sie ist deren Sprecherin für Behindertenpolitik, sitzt im Ausschuss für Arbeit und Soziales und gibt als Obfrau auch den grünen Ton im Petitionsausschuss an.

"Der Petitionsausschuss ist so etwas wie ein Brennglas für das, was die Menschen in Deutschland bewegt", sagt Rüffer. Denn Schreiben mit Bitten und Kritik an den Bundestag landen in diesem Ausschuss. "Das Thema Asylverfahren ist dort zum Beispiel ein Schwerpunkt, weil wir uns mit vielen von Initiativen eingereichten Einzelfällen befassen." Ob Gesetze das beabsichtigte Ziel erreichen oder zu neuen Problemen führen und noch einmal kritisch überprüft werden sollten, oder ob der Bundestag in einem bestimmten Anliegen aktiv werden soll, das wissen seine Mitglieder am besten darzulegen. So das Selbstverständnis des Petitionsausschusses.

Erheblichen Handlungsbedarf sieht Corinna Rüffer beim Thema Inklusion generell. Besonders aber bei der Inklusion im schulischen Bereich: "Rheinland-Pfalz und andere Bundesländer haben begonnen, das Recht behinderter Menschen auf optimale Teilhabe auch im Bezug auf Bildung umzusetzen. Da diese aber in der Verantwortung der Länder liegt, haben wir 16 unterschiedliche Schulsysteme und 16 verschiedene Ansätze." Verantwortlich dafür sei vor allem das gesetzliche Kooperationsverbot, das dem Bund untersagt, im Schulbereich Einfluss zu nehmen. "Das ist nicht praktikabel und nicht sinnvoll, wie sich auch im Fall von Matteo Wilbert zeigt. Denn für die Organisation und Finanzierung der Schülerverkehre sind ausschließlich die Länder nach dem Jugendhilfegesetz verantwortlich. Wenn es dann um Integrationshelfer geht, kommt das Sozialhilfegesetzbuch ins Spiel, für dessen Leistungen auch der Bund zuständig ist." Rüffer hält deshalb eine Gesetzesvereinfachung für notwendig, um das Zuständigkeitsproblem zu beseitigen. Diese könnte das geplante Bundesteilhabegesetz bringen (siehe Hintergrund), das noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden soll.

"Die UN-Behindertenkonvention darf nicht zur Operette verkommen", sagt die Grünen-Politikerin, die vor ihrer Wahl in den Bundestag jahrelang Erfahrung auf kommunaler und Landesebene gesammelt hat. "Behinderung ist immer in Sondersysteme abgeschoben worden. Das zeigt auch unser unvergleichlich ausdifferenziertes Schulsystem. Die erstklassig ausgebildeten Förderschullehrer würden auch Regelschulen guttun."

Generell kann für Corinna Rüffer der rheinland-pfälzische Ansatz für Inklusion im Schulgesetz nur ein erster Schritt sein. Die freie Wahl zwischen Förderschule und Schwerpunktschule genügt ihr nicht. "In Spanien sind die Förderschulen komplett abgeschafft worden. Pablo Pineda Ferrer ist der erste Europäer mit Down-Syndrom, der einen Universitätsabschluss erreicht hat. Als Sonderschüler hätte er das auch nach seiner eigenen Meinung nicht geschafft.

HINTERGRUND

Teilhabegesetz: Die Koalitionsparteien CDU, CSU und SPD haben sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, die Leistungen an Menschen, die aufgrund einer wesentlichen Behinderung nur eingeschränkte Möglichkeiten haben, aus dem bisherigen Fürsorgesystem herauszuführen und die Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht weiterzuentwickeln. Die Leistungen sollen sich am persönlichen Bedarf orientieren und entsprechend einem bundeseinheitlichen Verfahren personenbezogen ermittelt werden. Leistungen sollen personenzentriert bereitgestellt werden. Dabei soll die Einführung eines Bundesteilhabegeldes geprüft werden.
Mit Inkrafttreten des Bundesteilhabegesetzes in dieser Legislaturperiode will der Bund zur Entlastung der Kommunen bei der Eingliederungshilfe einen Betrag von fünf Milliarden Euro pro Jahr beisteuern. r.n.
(Quelle: www.gemeinsam-einfach-machen.de)

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