Grau ist bunt

Trier · Wenn es um die Frage der Pflege im Alter geht, gibt es bislang in der Regel zwei Optionen: daheim oder im Heim. Das ändert sich zurzeit auf allen Ebenen. Neue Formen werden gesucht und immer öfter gefunden. Aber die alten werden keineswegs überflüssig. Daraus entsteht vor Ort oft ein Dilemma.

Trier. Ein Bild, das sich einprägt: Sozialministerin Malu Dreyer im Rollstuhl, daneben eine energische alte Dame mit einem kräftigen Holzstock, im Vordergrund ein halbes Dutzend Gänse, dahinter reichlich grünes Gesträuch.
Die Szene spielt in einem Westerwald-Weiler, und was man nicht auf den ersten Blick erkennt: Der einstige kleine Bauernhof in der Dorfmitte ist heute eine Senioren-WG mit Platz für bis zu 17 Menschen. 24-Stunden-Betreuung und Komplett-Pflege bei Bedarf inklusive.
Die Experimentierfreude im Westerwald liegt ganz auf der Linie der Ministerin. So wie das Wohnprojekt eines Koblenzer Mietervereins, das auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne junge Familien und Senioren zusammenbringt.
Selbst vergleichsweise exotische Projekte wie ein "Demenzdorf" in Alzey finden derzeit bemerkenswertes Wohlwollen bei der Politik.
Das hat einerseits damit zu tun, dass die Politiker rechnen können und daher wissen, dass die Rundum-Heimpflege über kurz oder lang unbezahlbar wird. Andererseits aber auch, weil sich der Bedarf und die Wünsche der Pflegekundschaft langsam, aber kontinuierlich verändern.
Der Kölner Professor und "Pflegepapst" Frank Schulz-Nieswandt hat kürzlich bei einer Caritas-Tagung auf der katholischen Akademie in Trier eine massive Steigerung dieses Trends vorausgesagt. Die Nachkriegsgeneration, die jetzt langsam aufs Pflege-alter zusteuert, habe sich, so der Medizinsoziologe, einen so individuellen Lebensstil angeeignet, dass immer weniger im Alter bereit seien, zugunsten einer Heim-Betreuung auf die gewohnte persönliche Freiheit und das bevorzugte Umfeld zu verzichten.
So sprießen derzeit neue Ideen förmlich aus dem Boden - auch in der Region. In Pluwig entsteht ein neues Dorfzentrum, das unterschiedliche Betreuungsangebote für Senioren mit öffentlichen Einrichtungen und einer Kita koppelt. In Schweich sind 43 barrierefreie Eigentumswohnungen für Senioren, eine ambulant betreute Wohngemeinschaft und neun Mietwohnungen geplant.
Die traditionellen Träger von Pflegeheimen fühlen sich zunehmend unter Druck.
Zukunft der Pflege - Pflege der Zukunft


"Stationäre Altenheime werden auch in Zukunft gebraucht", betont etwa Birgit Kugel, die Trierer Diözesan-Direktorin der Caritas und damit Chefin eines der größten Pflegeheim-Träger. Bei der Caritas und dem evangelischen Pendant Diakonie reagiert man zunehmend empfindlich, wenn Politiker wie SPD-Fraktionschef Hendrik Hering durchblicken lassen, sie hielten das Heim für einen Platz, an dem Menschen entmündigt würden. Es kostete die Landesregierung zuletzt einige Mühe, klarzustellen, dass eine Priorität für neue Wohnformen nicht das Aus für die bestehenden Einrichtungen bedeuten soll.
Andererseits ist auch Trägern wie der Caritas bewusst, dass sie ihre Angebote auf den Bedarf abstellen müssen. "Wir haben mit der Öffnung hin zu stärker gemeinwesenorientierten Angeboten schon begonnen", versichert Birgit Kugel.
Während die Politik die gemeinnützigen Träger in Richtung Neuausrichtung drängt, erobern parallel aber auch private Unternehmen zunehmend den Markt - oft mit genau jenen Pflegeheimen auf der grünen Wiese, die nicht mehr als zeitgemäß gelten.
Auch in der Region wird mächtig investiert - zuletzt 13,5 Millionen Euro in das Seniorenhaus "Zur Buche" im Konzer Satelliten-Stadtteil Roscheid. Die Bürgermeister vor Ort unterstützen meist die Maßnahmen - auch wenn die Konzepte der Idee von modernen, wohnortnahen, in soziale Netzwerke integrierten Modellen nicht immer entsprechen.
Wie so etwas idealtypisch laufen kann, zeigt die Bremer Heimstiftung (Info: www.bremer-heimstiftung.de ), die bundesweit als Vorreiter gilt. "Wir haben schon seit 20 Jahren keine klassischen Heime mehr gebaut", sagt der Vorsitzende Alexander Künzel. Die Einrichtungen der Stiftung betrachten sich als Stadtteil-Häuser mit einer engen Vernetzung und Anbindung an das Leben außerhalb des Heims. Ganz im Sinn des ehemaligen Bremer Bürgermeisters Henning Scherf, dessen Zitat "Grau ist bunt" ein Stück weit als Leitmotiv der "neuen Alten" gilt.Extra

Ambulante Pflege zu Hause Die Senioren können in ihrem vertrauten Heim bleiben oder ziehen zu Angehörigen ins Haus, die die Haupt-Pflegetätigkeiten übernehmen. Diese können sich von professionellen Pflegekräften unterstützen lassen, die zu festgelegten Zeiten für einzelne Tätigkeiten ins Haus kommen. Betreutes Wohnen Auch bei dieser Form können die Senioren in ihrem vertrauten Wohnumfeld bleiben. Die Betreuung geschieht durch professionelle Pflegekräfte, die regelmäßig nach dem Rechten sehen oder für feste Aufgaben ins Haus kommen. Wohngemeinschaften Im Gegensatz zum Betreuten Wohnen, wo man sich in der eigenen Wohnung Hilfe per Telefon rufen muss, ist in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft eine Betreuungskraft permanent vor Ort. In der Regel wohnen maximal zehn Personen zusammen. Zur Betreuung gehören die komplette hauswirtschaftliche Versorgung sowie Freizeit-Angebote. Mehrgenerationenhäuser Bei dieser alternativen Wohnform leben mehrere Generationen unter einem Dach. Wie in einer klassischen Großfamilie profitieren die Bewohner voneinander. Im Notfall können die Mitbewohner oder ambulante Pflegedienste helfen. Teilstationäre Pflege Eine Mischform, bei der häufig ein pflegeintensiver Zeitraum von professionellen Kräften übernommen wird, etwa intensiver Hilfsbedarf am Tag oder eine Notfall-Betreuung in der Nacht. Stationäre Pflege Ist eine ambulante Betreuung bei steigendem Pflegebedarf eines Menschen zu Hause nicht mehr möglich, gibt es Modelle, die eine nötige Komplettbetreuung in einer stationären Einrichtung gewährleisten. Quelle: www.das-pflegeportal.de

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