Sie lächelt viel - und kann knallhart verhandeln

Mainz · In Rheinland-Pfalz hat eine neue politische Zeitrechnung begonnen. Ministerpräsidentin Malu Dreyer (51, SPD) will das Erbe ihres Vorgängers Kurt Beck fortführen und baut wie er auf die rot-grüne Koalition in Mainz. Doch sie wird einen anderen, kommunikativeren Regierungsstil pflegen.

Malu Dreyer betritt einen Raum fast nie alleine. Meistens stützt sie sich auf eine Vertraute. Manchmal wird sie im Rollstuhl geschoben. Auf den ersten Blick wirkt die dunkelhaarige Frau, die seit 16 Jahren an der chronisch-entzündlichen Nervenkrankheit Multiple Sklerose leidet, zerbrechlich. Bis ihr erstes selbstbewusstes Lächeln erahnen lässt, welche Energie und Vitalität in dieser Politikerin schlummern. Dreyer lächelt sehr viel. So charmant, dass Landtagspräsident Joachim Mertes ihr das Prädikat "Königin der Herzen" verlieh.
Eben weil sie an einer Krankheit leidet, deren Ursachen bis heute nicht erforscht sind und deren Auswirkungen sich kaum abschätzen lassen, hatten nur die wenigsten Dreyer bei der Beck-Nachfolge auf der Rechnung. Favorisiert wurden Innenminister Roger Lewentz, SPD-Fraktionschef Hendrik Hering oder Bildungsministerin Doris Ahnen.
Doch der alte Fuchs Kurt Beck hatte das richtige Gespür, als er die Sache regelte. Seit Ende September 2012 die Überraschung bekanntgegeben wurde, hagelt es bundesweit Lobeshymnen. Selten hat eine Politikerin wohl medial so viele Vorschusslorbeeren bekommen wie Malu Dreyer.
Wer sie darauf anspricht, ob ihre Behinderung - die sie selbst 2006 nach etlichen Nachfragen öffentlich gemacht hat - sie bei der Ausübung des kräftezehrenden Amtes einschränken könnte, erlebt einen jener seltenen Momente, in denen Dreyer unwirsch reagiert. Fast empört sagt sie dann, sie habe schon seit Jahren eine 80-Stunden-Woche. Eine Behinderung dürfe kein Grund sein für einen gesellschaftlichen Ausschluss. Womit bereits eines ihrer politischen Ziele, das der Inklusion, beschrieben wäre.

"Ich will Sie einladen, dass wir vor allem miteinander reden."Die neue Ministerpräsidentin Malu Dreyer in ihrer ersten Rede im Amt an die Adresse der Opposition im Landtag
Die gebürtige Pfälzerin wohnt mit ihrem Mann, dem Trierer Oberbürgermeister Klaus Jensen, keineswegs in einer Villa im Grünen, sondern in einem alternativen Wohnprojekt in Trier, das sich Schammatdorf nennt. Dort leben Menschen verschiedenen Alters in den eigenen vier Wänden und doch miteinander, denn sie helfen sich gegenseitig und unternehmen viel zusammen. Dreyer käme nie auf die Idee, aufgrund ihres neuen Amtes dieses Zuhause zu verlassen (siehe Reportage).
Genau diese Authentizität, diese Normalität mögen die Menschen an ihr. Sie empfinden Dreyer als eine von ihnen.
Aber es gibt nicht nur die freundliche Malu, wie sie allerorten genannt wird. Dreyer gilt als knallharte Verhandlerin, die uneingeschränkt sozialdemokratische Positionen vertritt. Sie ficht als langjährige Sozialministerin vehement für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn und als ebenso langjährige Gesundheitsministerin für die Bürgerversicherung, bei der alle Bürger mit allen Einkunftsarten in eine Krankenversicherung einzahlen. In der jahrzehntelang "schwarzen" Hochburg Trier führte Dreyer mit ihrem Ehemann Klaus Jensen einen tiefgreifenden Wandel herbei. Altgediente Genossen schob sie vorsichtig - und stets lächelnd - aufs Abstellgleis, um neue, junge Leute wie Fraktionschef Sven Teuber zu installieren. Bei den Landtagswahlen eroberte sie selbst gegen den damaligen CDU-Landesvorsitzenden Christoph Böhr 2006 problemlos das Direktmandat und verteidigte es 2011 mühelos.
Die Juristin, als parteilose Bürgermeisterin des kleinen Städtchens Bad Kreuznach gestartet, dann in Mainz zur Sozialdezernentin avanciert und schließlich von Kurt Beck 2002 ins Kabinett geholt, überlässt nichts dem Zufall. Sie mag keine Überraschungen. Selbst Fragen von Interviewern hätte sie gerne vorab. Sie durchdenkt komplizierte politische Vorgänge bis ins Detail.
Obwohl Kurt Beck bereits 2011 den politischen Neustart mit der ersten rot-grünen Koalition in Rheinland-Pfalz eingeleitet hat, werden sich die Akteure auf einen anderen Stil einstellen müssen. Becks teils aufbrausendes Temperament ist Dreyer fremd. Sie haut nicht mit der Faust auf den Tisch, sie kommuniziert lieber so lange, bis die Probleme erledigt sind. Die Grünen freuen sich schon auf die neue Ministerpräsidentin, auch wenn gegensätzliche Auffassungen wie beim A-1-Lückenschluss oder beim Flughafen Hahn unter einen Hut zu bringen sind.
Die Opposition frohlockt keinesfalls. Aber auch hier deutet Malu Dreyer nach der Eiszeit zwischen Kurt Beck und CDU-Chefin Julia Klöckner ein Umsteuern an. Die Regierungschefin bietet der Union "bedingungslos" an, bei wichtigen Themen zusammenzuarbeiten.
In Berlin ist Malu Dreyer als langjährige Koordinatorin der SPD-geführten Länder in Sachen Gesundheit bekannt. Doch den tiefen Respekt, den Kurt Beck genossen hat, muss sie sich erst erarbeiten. Es steht zu vermuten, dass sie es lächelnd tun wird.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort