Die Beschwerde-Entgegenehmer

Trier. · Mittlerweile wird Protest überwiegend im Internet geäußert und organisiert – in Konkurrenz zu den offiziellen Petitionsplattformen.

Früher standen sie in den Fußgängerzonen, sammelten Unterschriften gegen die Atomkraft, für die Ortsumgehung oder einfach nur für mehr Lebensqualität im Ort.

Heute sieht man kaum noch Unterschriftensammler in den Städten. Im digitalen Zeitalter werden Unterstützer per Internet gesucht. Im Netz wimmelt es nur so von Petitionsplattformen. Kritiker warnen vor digitaler Meinungsmache. Manche Online-Petition hat durchaus fragwürdige Zwecke.

Etwa "Raus mit Markus Lanz aus meinem Rundfunkbeitrag". 233.335 Unterzeichner unterstützten vor drei Jahren den virtuellen Protest gegen den ZDF-Talker, weil dieser "weder fähig noch willens ist, seinen Gästen gleichberechtigt Wohlwollen, Rederecht und Anstand entgegenzubringen". Freilich ohne Erfolg. Lanz moderiert immer noch. Der Trierer Politikwissenschaftler

Markus Linden nennt das als Beispiel für eine "digitale Massenpetition", zu denen private Plattformen beigetragen hätten. Linden spricht heute in einer Anhörung im Bundestag als Experte. Die Parlamentarier debattieren seit Monaten darüber, ob private Petitionsplattformen an die des Petitionsausschusses des Bundestags angekoppelt werden und damit einen offiziellen Charakter erhalten. Die beiden wichtigsten Internetseiten in Deutschland, auf denen Unterschriften gesammelt werden, sind laut Linden change.org und openpetition.org. Diese seien wesentlich später gestartet, als die Petitionsplattform des Bundestags. Seit 2008 können dort Anliegen online formuliert und Unterstützter gesucht werden. "Trotzdem", so Linden, "haben die privaten Plattformen mehr Zulauf."

Linden sieht die Kopplung der Privaten mit dem Petitionsausschuss des Bundestags kritisch. "Private Petitionsplattformen sind entweder nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen ausgerichtet, oder sie sind Teil von Kampagnenorganisationen mit entsprechend einseitiger Fokussierung." So spielen etwa die Anliegen sozial Schwacher bei den privaten Plattformen kaum eine Rolle. Durch die Internetplattformen und durch soziale Medien wie Facebook oder Twitter ist es einfacher geworden, seinen Protest, sein Thema, seine Petition bekanntzumachen. Bislang haben die Unterschriften auf den privaten Seiten kaum politischen Einfluss. Selbst mehrere Hunderttausend Unterschriften sind kein Garant dafür, dass etwas bewegt werden kann. Anders sieht es bei der Plattform des Bundestags aus. Wer dort innerhalb von drei Wochen mehr als 50.000 Unterschriften für sein Anliegen oder seine Beschwerde sammelt, hat die Chance, im Petitionsausschuss gehört zu werden. Etwa 60 solcher Petitionen landen pro Tag im entsprechenden Ausschuss des Bundestags. Fast jede dritte wird mittlerweile online eingereicht. Seit Jahrhunderten gibt es die Form der Massenpetition. Ursprünglich war sie als ein politisches Instrument für Minderheiten gedacht, damit sie die Chance haben, auf Missstände hinzuweisen.

Das Petitionsrecht ist im Grundgesetz verankert. Dort heißt es im Artikel 17: "Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaften mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretungen zu wenden." Eine Unterschriftensammlung an den Bundestag ist jedoch lediglich eine Form von politischem Aufbegehren.

Durch öffentlichen Druck wird ein gewisser Zwang auf die Parlamentarier ausgeübt, sich eventuell mit einem Thema zu beschäftigen. Allerdings findet sich unter den Eingaben an den Bundestag die ein oder andere skurrile. Wie, die, von der die Trierer Grünen-Bundestagsabgeordnete Corinna Rüffer berichtet. Eine Frau habe gebeten, Kindern doch künftig Mikrochips einzupflanzen, so dass man immer wisse, wo sie sich aufhielten. Das Nebeneinander von privaten und staatlichen Plattformen erhöhe die Unübersichtlichkeit des Partizipationsangebots, sagt Linden. Die privaten Plattformen verstärkten den Druck auf das Parlament. "Ob und wie der Bundestag in Zukunft mit den Privaten kooperiert, ist von Bedeutung für die Zukunft des Parlaments und der Demokratie. Schließlich gilt das deutsche Petitionswesen bislang als eines der besten der Welt."

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