Unterricht im Schulbau zu Babel - Wie man in der Region damit umgeht, dass viele neue Schüler überhaupt kein Deutsch sprechen

Trier · Sie sprechen syrisch, serbisch oder suaheli. Aber kein bisschen Deutsch. Manche können selbst ihre Muttersprache nicht lesen. Der Zustrom von Flüchtlingskindern stellt die Schulen vor Herausforderungen. Sprachkurse sollen helfen.

Trier. Plötzlich ist der Junge einfach da. An einem Mittwoch mitten im Schuljahr wird er ein Teil der Klasse. Deutsch spricht und versteht er nicht. Selbst seine eigene Muttersprache beherrscht er schlecht, weil die Flucht vor dem Krieg seine Familie erst nach Griechenland und dann nach Italien verschlug.Schmerzhafte Spuren


Andere Kinder sprechen zwar ihre Muttersprache, haben aber weder lesen noch schreiben gelernt. Wieder andere besitzen zwar ein sehr hohes Bildungsniveau. Doch gibt es keine Möglichkeit, an die Zeugnisse heranzukommen, die das belegen. Und bei nicht wenigen Kindern haben Krieg, Flucht, Verlust und Angst schmerzhafte Spuren hinterlassen. Die Nelson Mandela Realschule plus in Trier unterrichtet 43 Schüler zwischen zehn und 18 Jahren, die kein Wort Deutsch sprachen, ehe sie dort ankamen. Sie stammen aus allen erdenklichen Ländern, verfügen über unterschiedlichste Begabungen "und sie sprechen 25 verschiedene Muttersprachen", sagt Schulleiterin Luise Laurent.
Wie funktioniert denn da der Unterricht? "Das ist eine Herausforderung. Wir müssen mit jedem neu anfangen", sagt Laurent.
Die Schüler werden altersgerecht eingestuft und an drei Schultagen mehrere Stunden lang intensiv in Deutsch geschult - von Lehrern, die Deutsch als Fremdsprache unterrichten. Den Rest der Zeit verbringen sie im ganz normalen Klassenunterricht. "Am Anfang verstehen sie da gar nichts", sagt Laurent. Abhilfe schaffen zum einen Übersetzungsprogramme - bald wird die Schule zu diesem Zweck Tablet-Computer nutzen. Zum anderen wird jedem Neuankömmling ein Sprachpate zugewiesen - ein Mitschüler, der die gleiche Muttersprache spricht, aber bereits Deutsch kann.
Manche lernen so schnell, dass sie die Sprachkurse schon nach einem Dreivierteljahr verlassen können. Andere brauchen deutlich länger. Ziel ist es, alle zum Schulabschluss zu führen. Erleichtert wird den Kindern dies dadurch, dass sie Prüfungen auch in ihrer Muttersprache ablegen können. Zu diesem Zweck reisen Lehrer an, die der jeweiligen Sprache mächtig sind. Für die Lehrer, die an der Schwerpunktschule neben den Neuankömmlingen auch lernbehinderte Kinder unterrichten, ist das, wie Laurent einräumt, eine schwierige Aufgabe. "Aber das müssen Lehrer stemmen. Das ist unser Auftrag", sagt die Schulleiterin.Verblüffendes Lerntempo


Etwas leichter zu erfüllen ist dieser Auftrag an Grundschulen. Denn kleine Kinder lernten Fremdsprachen oft verblüffend schnell, sagt Rolf Neumann, Leiter der Trierer Matthias-Grundschule: "Wir haben ausgesprochen gute Ergebnisse." Viele der Schüler kämen aufs Gymnasium. Die Kinder hätten im Bildungssystem jede Chance.
Alle, die kein Deutsch können, werden ganztags bis 16 Uhr unterrichtet. Ein Jahr lang besuchen auch Kinder, die eigentlich anderen Trierer Schulen zugeordnet sind, die Matthias-Grundschule. Dort nehmen sie täglich an einem dreistündigen Sprachkurs teil. Danach geht es in den normalen Unterricht, wo sie auf deutsche Schüler treffen und "dadurch ganz schnell deutsch sprechen", sagt Neumann. Regionweit gibt es nach Auskunft der Schulbehörde ADD etwa 200 bis 300 Kinder, die weniger als ein Jahr in Deutschland verbracht haben und auf Sprachkurse angewiesen sind. Den Schulen würden dafür großzügig Lehrerstunden zur Verfügung gestellt, sagt Gotthard Schölzel von der ADD. In der Region sei ein dichtes Band von Sprachförderzentren geknüpft worden, wo in 15 bis 20 Stunden pro Woche Intensivsprachkurse stattfinden.
Eine Million Euro zusätzlich hat die Landesregierung dieses Jahr bereitgestellt, um das Sprachkurs-Angebot auszubauen: 151 Kurse gibt es landesweit inzwischen. Elf davon sind neu. Lehrergewerkschaften begrüßen das. Aber ist das genug? Nein, findet Malte Blümke, Vorsitzender des Philologenverbands Rheinland-Pfalz.Fehlende Ressourcen


Er kritisiert, dass lediglich an 15 Gymnasien und Integrierten Gesamtschulen Kurse eingerichtet wurden. Jede Schule müsse Förderstunden bereitstellen. Dem gesamten System fehlten Ressourcen. Schließlich habe die Landesregierung mit dem Verweis auf schrumpfende Schülerzahlen Lehrerstellen gestrichen. Inzwischen habe sich allerdings gezeigt, dass - auch durch den Zuzug der Flüchtlinge - landesweit 4000 Schüler mehr da seien als erwartet. Zudem habe sich die Regierung nicht an ihr Versprechen gehalten, die Klassengrößen in der Orientierungsstufe zu reduzieren. Wenn die Lehrer sich nun weiterbilden sollten, sei das der Tatsache geschuldet, dass man das Problem nicht strukturell löse.
Auch Klaus-Peter Hammer von der Bildungsgewerkschaft GEW vermisst Leitlinien für den Unterricht von Klassen, in denen Schüler sitzen, die kein Deutsch sprechen. Und er fordert, in solchen Klassen zwei Pädagogen einzusetzen.
Bildungsministerin Vera Reiß betont, der Ausbau der Sprachförderung zeige bereits Wirkung. Aber man werde auch in Zukunft an weiteren Verbesserungen arbeiten.Extra

Junge Flüchtlinge, die Verwandte in Deutschland um Asyl bitten, werden derzeit in jenem Bundesland betreut, das sie als Erstes betreten. Dies führt zu ungleicher Verteilung. So landeten nach Informationen des Jugendamts Trier, das sich um sämtliche "unbegleiteten" jungen Flüchtlinge im Land kümmert, von den 18 500 jungen Menschen, die 2014 nach Deutschland kamen, 6180 in Bayern, aber nur 378 in Rheinland-Pfalz. 2016 soll ein Gesetz in Kraft treten, das dies ändert. Dann gilt der Schlüssel, nach dem erwachsene Flüchtlinge verteilt werden, auch für Minderjährige. Einer Modellrechnung zufolge hätte Rheinland-Pfalz 2014 statt der 378 rund 900 junge Flüchtlinge aufnehmen müssen. Künftig soll Trier dabei von vier weiteren Jugendämtern unterstützt werden. Aktuell nimmt die Behörde die jungen Menschen in Obhut und bringt sie in einem sogenannten Clearinghaus unter. Dort wird ihre persönliche und gesundheitliche Situation geprüft. Zudem wird versucht, Verwandte ausfindig zu machen. Nach bis zu drei Monaten Aufenthalt werden die Jugendlichen in Einrichtungen der Jugendhilfe untergebracht. In Rheinland-Pfalz sind das Jugendhilfezentrum Don Bosco Helenenberg bei Welschbillig (Kreis Trier-Saarburg) mit einer Außenstelle in Trier sowie die Diakonie Bad Kreuznach Träger von Clearinghäusern. kah/r.n.Extra

Die Zahl der jungen Asylbewerber ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. 2012 hatten nach Auskunft des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge 1119 Menschen unter 18 in Rheinland-Pfalz erstmals Asyl beantragt. 2013 waren es 1828, im Jahr 2014 genau 2879 und bis Ende Mai 2015 bereits 1863 junge Menschen. kah

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