Auf Gummisohlen, ohne einen einzigen Laut

LEIWEN. (red) Für Hugo Kohl aus Leiwen war der Einmarsch der Amerikaner eine schöne Zeit. Besonders beeindruckte den damals Neunjährigen die Ausrüstung der Besatzungstruppen.

Die Vorbereitung der Nazis auf die bevorstehende Niederlage begann in Leiwen etwa am 10. März 1945. Für meinen Vater begann sie mit erheblichem Ärger und großer Gefahr, als ein SS-Mann unsere Wirtschaftsräume für Wehrmachtsfahrzeuge beschlagnahmte. Mein Vater erfragte die Notwendigkeit der Beschlagnahmung. Der SS-Mann sagte: "Sie wissen wohl noch nicht, was los ist." Darauf sagte mein Vater: Was los sei, wisse er seit 1933. Der SS-Mann fuchtelte drohend mit dem MG (Maschinengewehr, Anm. d. Red.) herum. Nach einigen Tagen waren wir den Kerl wieder los, da die Amis von Bekond mit der Flak auf Leiwen schossen, teilweise sehr genau in ein Haus, wo die Deutschen eine Funkstation hatten - aber auch nur 30 Meter von unserem Haus in das Straßenpflaster. Es gab ein Loch von 1,50 Meter Durchmesser und etwa 50 Zentimeter Tiefe. Die Zeit zwischen den Deutschen und den Amis nutzten wir Neun- bis 15-Jährigen für Schießübungen mit Panzerfäusten, Handgranaten, Gewehren, Pistolen und Munition, die die Deutschen zurückgelassen hatten. Mit den Handgranaten fingen wir in der Mosel Fische. Ein Junge hatte dabei mit einer Pistole einen Schuss durch den Jackenärmel abbekommen - sonst ging alles erstaunlicherweise gut, obwohl wir zuerst ergründen mussten, wie eine Panzerfaust funktioniert. Die hatte nämlich vorne und hinten ein großes Loch.Flasche 1944er zur Begrüßung

Jedenfalls rückten die Amis am 18. März 1945 in Leiwen ein. An etwa jedem zweiten Haus hingen weiße Fahnen. Wir standen in der Haustür und sahen sie kommen. Die deutschen Soldaten hörte man immer, wenn Sie über die Straße gingen. Die Amis kamen um die Straßenecke aus Richtung Köwerich. Keinen einzigen Laut, keinen einzigen Schritt hörte man, da sie ganz ruhig waren und sie alle Gummisohlen an den Schuhen hatten. Alle mit MG und Tarnanzügen. Fahrzeuge kamen erst etwas danach. Da wir im Haus das Telegrafenamt hatten, wurde es beschlagnahmt. Dies erklärte uns ein amerikanischer Jude, der perfekt Deutsch sprach und mit dem mein Vater eine (schwarz gelagerte) Flasche 1944er Wein trank. Alle Waffenbesitzer mussten ihre Waffen abgeben - auch mein Großvater, der Jäger war. Diese Gewehre wurden dann auf einer Mistmauer gegenüber unserem Haus zertrümmert und verbogen. Wir zogen für zwei Tage zu unseren Nachbarn. Unser Großvater wollte das aber nicht und schlief einfach weiter in seinem Zimmer, da die Amis nicht einzogen. Für meine Eltern und für meinen Großvater war der 18. März 1945 der Tag der Befreiung, für uns Kinder war es eine schöne und interessante Zeit. Wir hatten die Gefahren nicht gekannt. Besonders gut und freundlich zu uns Kindern waren die schwarzen Amis. Die gaben uns Kaugummi, und wir liefen hinter ihnen her. Nach zwei Tagen waren die Amis weg in Richtung Osten, wir schliefen wieder in unseren Betten, und die Nazis hatten das Hakenkreuz aus dem Pflasterstein auf der Kreuzstraße entfernt. Der Krieg war für uns aus. Hugo Kohl, Winzer und Kommunalpolitiker aus Leiwen, war damals neun Jahre alt.

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