Delfin-Therapie im Trockenen

FELL. Therapie auf vier Pfoten: Bis vor ein paar Wochen noch hatte Lisa furchtbare Angst vor Hunden. Heute veranlasst der Münsterländer Jacky das Mädchen, Dinge zu tun, die weder Therapeuten noch Eltern für möglich gehalten hätten.

Lisa (13) quietscht vor Vergnügen. Sie hat Jacky erblickt. Einmal in der Woche fährt Therapiehundeführer Gerd Thiel zu den Krämers nach Fell, um die sonderpädagogischen sowie medizinischen Angebote, die Lisa permanent wahrnehmen muss, zu unterstützen. Lisa hat immer noch jede Menge Respekt vor Jacky. Doch seit der Hund da ist, lächelt sie unentwegt.Ein Leckerli für Jacky

Lisas Mutter, Marion Krämer, schiebt den Teenager mit dem Rollstuhl ins Wohnzimmer. Auf der ausgebreiteten Decke passiert das, was niemand für möglich gehalten hätte. "Möchtest du Jacky Leckerli geben?", fragt der Therapeut. Lisa nickt und weiß, dass in dem verschlossenen Schälchen die Leckereien für den Hund sind. Angespornt, etwas für Jacky zu tun, schafft Lisa es trotz hypotoner Muskelspannung den Deckel zu öffnen. Sie strahlt. Ein Erfolgserlebnis. Der Therapiebegleithund wird ähnlich der Delfintherapie eingesetzt. "Durch seine spezielle Ausbildung und seine charakterlichen Eigenschaften ermöglicht er oftmals Zugänge zu Kindern, die auf "normaler" Ebene nicht möglich gewesen wären, und motiviert sie, Dinge zu tun, zu denen sie vorher niemand animieren konnte", sagt Gerd Thiel. Der Therapiehundeführer legt ein Handtuch über Jacky. Lisa streichelt mit der Hand über den zugedeckten Hund und berührt nicht ganz zufällig immer wieder das Fell. Schritt für Schritt hilft Gerd Thiel, Lisas Hemmschwelle, den Hund zu berühren, abzubauen. Der Therapeut streicht eine Vitaminpaste auf Lisas rechten Arm. Das Mädchen lässt es zu, dass Jacky die süßliche Schmiere abschleckt. "Eine gute Übung, um die Grenzen eines Menschen zu testen", sagt der Therapeut. Weiter als bis zum Ellbogen ließen es die wenigsten Menschen zu. Lisa toleriert auch, dass sich der Münsterländer unter ihre Knie legt. Damit Jacky raus kann, muss sie die Beine heben. Für das schwer behinderte Mädchen eine Höchstleistung. Spielerisch und mit Jacky schafft sie es. Marion Krämer ist stolz auf ihre Tochter und sagt: "Der Hund hat einiges in unserer Familie bewirkt." Gerd Thiel erklärt, dass durch den Einsatz eines Therapiebegleithundes auch neue soziale Gefüge innerhalb der Familie gebildet werden. Und: Neben der medizinisch-therapeutischen Wirkung fördert der Umgang mit dem Hund Lisas Selbstwertgefühl und ihre Selbstsicherheit. Die Delfintherapie auf dem Land entlastet die Familien auch, da die entwicklungsunterstützende Maßnahme im häuslichen Umfeld stattfindet. Familie Krämer, die sich auf Anraten der Kinderärztin Agathe Traut an Gerd Thiel wandte, ist nach anfänglicher Skepsis mittlerweile so hundebegeistert, dass sie auf die Anschaffung eines eigenen Vierbeiners hinarbeitet.Entlastung für Zwillingsschwester Anja

"Ein Hund tut uns allen gut", sagt Marion Krämer. Vor allem könnte Anja entlastet werden. Lisas Zwillingsschwester hat einen besonderen Draht zu der behinderten 13-Jährigen. Sie bekommt immer als Erste mit, wenn Lisa ihre gefürchteten Krampfanfälle hat, und übernimmt damit eine sehr große, altersuntypische Verantwortung. Die nach der Steinfurter Therapie-Begleithund-Methode speziell ausgebildeten Hunde dienen genau definierten therapeutischen Zwecken und sind nicht nur, aber auch als Streichelhunde anwesend. "Ein Hund würde Familie Krämer einige Erleichterung bringen", sagt Gerd Thiel. Die Vierbeiner werden bei Schwierigkeiten mit der Kontaktaufnahme, beim Abbau von Ängsten, Problemen beim Zulassen von Körpernähe oder zur Sprechanregung eingesetzt. Hunde wirken unterstützend bei Konzentrationsübungen, werden bei Motivationsübungen herangezogen, sie dienen zur Entspannung oder beeinflussen die Körperwahrnehmung. "Die wissenschaftliche Beweisbarkeit fehlt zwar, doch es ist viel dran, dass des Menschen beste Medizin ein Hund ist", davon ist Gerd Thiel überzeugt. Eine Stunde mitzuerleben, wie Lisa im Beisein des Hundes "aufblüht", räumt den letzten Zweifel aus. "Egal, was es ist", sagt Thiel. Lisa lächelt.

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