Der "Ötzi" aus Wincheringen

WINCHERINGEN. Was haben Kuchenberge und Klick-Pedale gemeinsam? Sie spielen beide eine wichtige Rolle im Leben von Jürgen Arnoldy. Während seiner Arbeitszeit steht der gelernte Konditormeister in einer Grevenmacher Backstube; sobald er frei hat, sattelt er seinen Drahtesel und dreht bis zu 16 000 Kilometer im Jahr. Dieses Jahr hat er zum ersten Mal am Ötztal-Radrennen mitgemacht und es auch beendet.

 Konditormeister mit Hang zur Pasta: Jürgen Arnoldy, den seine Vereinskollegen des RSC Obermosel/Wincheringen als "Vielfahrer" bezeichnen, greift – wie in Radfahrer-Kreisen üblich – vor Rennen meist zu Nudelgerichten. TV-Foto: Melanie Wollscheid

Konditormeister mit Hang zur Pasta: Jürgen Arnoldy, den seine Vereinskollegen des RSC Obermosel/Wincheringen als "Vielfahrer" bezeichnen, greift – wie in Radfahrer-Kreisen üblich – vor Rennen meist zu Nudelgerichten. TV-Foto: Melanie Wollscheid

Man(n) muss schon verrückt sein, um eine solche (Tor-)Tour auf sich zu nehmen. Insgesamt 238 Kilometer und 5500 Höhenmeter sind es, die der Ötztal-Marathon den Radlern abverlangt. Auch Jürgen Arnoldy hat sich an diese Herausforderung herangewagt und gesiegt - nicht im Rennklassement, aber gegen seinen inneren Schweinehund. Nach zwölf Stunden und zwölf Sekunden erreichte er die Ziellinie in Sölden und kann sich seitdem mit dem in der Radsportszene hoch angesehen Titel eines "Ötzis" schmücken. Das renneigene Trikot trägt Arnoldy voller Stolz und freut sich, wenn er von Radlerkollegen ehrfurchtsvoll angesehen wird. Begonnen hat seine Leidenschaft für die Leichtfelgen aus eher pragmatischen Gründen: "Ich wollte abnehmen", sagt Arnoldy. Bekannte nahmen ihn mit auf Touren, und als er dann schlapp machte, schwor er sich: "Das passiert dir nie wieder!" Daraufhin ging er die Sache professionell an. Ein ganzes Jahr lang gönnte er sich einen Personal-Trainer, der ihm zeigte, wie man richtig trainiert. Dabei setzte er nicht auf irgendwen, sondern auf Marc Pschebizin. Der Wittlicher gehört zur europäischen Trtiathlon-Spitze und ist professioneller Ausdauer-Trainer.Nach dem Training noch 'ne Runde

Seitdem ging es mit Arnoldys Kondition bergauf, und am Ende fühlte er sich selbst nach den Trainings-Einheiten noch fit: "War ich anfangs nach dem Training einfach nur platt, konnte ich nun danach noch locker eine Runde mit dem Kleinen an der Mosel drehen", sagt er und lobt die Effektivität seiner Trainingsumstellung. Doch der Ehrgeiz hat auch seine Grenzen: "Ich fahre vielleicht nicht so schnell wie die Profis, dafür fahre ich ohne verbotene Hilfsmittel", sagt Arnoldy. Den Kleinen wird Papas neue Fitness gefreut haben, denn angesichts von 16 000 Kilometern jährlich muss Matthias Arnoldy den Papa des Öfteren an den Draht-(oder wohl eher Alu-)Esel abtreten. Der Vierjährige ist gerade dabei, seine Leidenschaft fürs Fahrrad zu entdecken, steckt aber noch in der "Ohne-Stützräder-muss-Papa-noch-am-Gepäckträger-festhalten-Phase". Mit 90 Sachen talwärts

Eine gute Vorbereitung hat Jürgen Arnoldy den Mammut-Marathon überstehen lassen. Nach der abendlichen Pasta-Party quälte er sich um Viertel vor Vier aus dem Bett, um pünktlich am Start stehen zu können. Seine Herzschlagfrequenz versprach einen fitten Tag: "Die Pulsuhr lügt nicht", sagt Arnoldy. Allerlei Pässe ("das Timmelsjoch war das Schlimmste") und Abfahrten ("Ich hatte lange Zeit Panik vor ihnen, aber nachdem ich eine mit 90 Stundenkilometern gemeistert hatte, war ich kuriert") später erreichte er das Ziel. Schon Kilometer vorher übermannten ihn die Emotionen: "Mir liefen die Tränen", erinnert er sich. Generell scheint die ganze Familie Arnoldy eine ausgeprägte Zweirad-Affinität zu hegen. Mama Sandra begann mit dem Fahrrad-Fieber, als sie vor 20 Jahren in Serrig ihre Rennradkarriere vorantrieb. Mittlerweile ist das für sie jedoch kein Thema mehr: "Das ist lange vorbei, Gott sei Dank. Ich erinnere mich noch heute an die schrecklichen Trikots, die waren damals für uns Frauen echt schlimm." In puncto Outfit hat sich einiges getan, dennoch reicht es über die familienüblichen Fahrradtourdistanzen nicht mehr hinaus. Es sei denn, Papa und Sohn sind strampelnd auf Männertour. Dann kann es schon mal passieren, dass sie wie der Wind von Wincheringen nach Trier brausen und die Mama dort am Bahnhof empfangen. Während der Papa in die Pedale tritt, sitzt der Sohn quietschvergnügt im Kindersitz und feuert seinen menschlichen Motor mit einem Klaps auf den Po an: "Los Papa, schneller!" Sollte der Sohn also nicht die Leidenschaft fürs Selberstrampeln erben, hat er definitiv gute Chancen auf eine Trainerkarriere.

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