"Diese Landschaft ist gigantisch"

WELLEN/NITTEL. Alle schimpfen über die hässlichen Drieschen, die das Landschaftsbild an Mosel und Saar verschandeln. Margret und Rudolf Schmitt aus Wellen mosern nicht: Sie packen an und räumen auf.

Kirchturmhoch ragen die Sandsteinformationen über dem früheren Weinberg an der Mosel auf, der zum Erbe von Margret Schmitt gehört. Jederzeit können sich große Brocken aus den Wänden lösen und zu Tal stürzen, alles zertrümmernd, was ihnen im Weg liegt. Manch einer empfindet die schroffen, teils überhängenden, oft von tiefen Spalten durchzogenen, von Wind und Wetter mitgenommenen und langsam zerbröselnden "Felsen" als Bedrohung. Die Schmitts nicht. Margret Schmitt sagt: "Diese Landschaft ist einfach gigantisch." Und Ehemann Rudolf, 61-jähriger Vorruheständler, ergänzt: "Viel zu schade, um sie verkommen zu lassen."Felsbrocken und leere Flaschen

Vor zwei Jahren erst ist Margret Schmitt, geborene Goergen, mit ihrem Mann in ihren Geburtsort Wellen zurückgekehrt, um ihr Erbe anzutreten. Zu dem gehört auch der längst aufgegebene und zur Driesche verkommene Weinberg. Er liegt, ungefähr in halber Höhe, an der nur für den landwirtschaftlichen Verkehr freigegebenen Verbindungsstraße zwischen Wellen und Nittel im Raum "Nitteler Leiterchen" und trägt die Katasterbezeichnung "Im Lehlingen". Unten, im Moseltal, verlaufen die Bundesstraße 419, die Bahnstrecke Trier-Metz-Paris und die Wasserstraße Mosel. 43 Ar mit Felsbrocken übersäter, von Pflanzen und Gestrüpp aller Art überwucherter, verwilderter Weinberg - vor einem Jahr nahmen Margret und Rudolf Schmitt den zunächst aussichtslos scheinenden Kampf gegen den zur Absturzstelle für lockeres Gestein und Lagerplatz für leere Flaschen und anderen Wohlstandsmüll gewordenen Schandfleck auf. Was manche Zeitgenossen für schier unmöglich gehalten und deshalb eher spöttisch lächelnd begleitet haben, kann sich sehen lassen: Ein großer Teil des Areals ist bereits aufgeräumt und gerodet, inmitten der neuen Ordnung liegen Felsbrocken, die aus der Wand herabgefallen sind. Und es ist eine ganze Menge zu tun übrig. "Noch mehr, als wir bisher schon geschafft haben", sagt Margret Schmitt und sieht dabei kein bisschen "geschafft" aus. Den beiden Schmitts geht es dabei nicht nur um das Aussehen "ihrer" Landschaft. Die nicht ausgehau-enen und vom Steinschlag nur unvollkommenen zermalmten Rebstöcke entwickeln, teils von allerlei wildem Grünzeug überwuchert, weiter Triebe - das ist nur scheinbar kein großes Problem, denn es ist noch viel altes, teils krankes oder anfälliges Rebgut darunter, das, kaum widerstandsfähig gegen Pilz- und anderen Befall, durchaus gefährlich werden kann für die modernen Züchtungen. Geologischer Bruch bis nach Luxemburg

Die beiden wollen dort nicht wieder Wein anbauen, aber sie sind sich über eins völlig im Klaren: "Das alte Zeug muss weg, ehe es die neuen Sorten gefähr-det." Und: "Den Rest hier schaffen wir auch noch, wir haben ja Zeit und den Mut, das auch wirklich anzupacken, was wir uns vorgenommen haben." Und dann wird neu angepflanzt: Kräuter, Sträucher, Bäume… Margret Schmitt zeigt hinüber zur luxemburgischen Seite, wo die Rebstöcke sauber geordnet wie die Zinnsoldaten stehen. "Auf unserer Seite ist die Landschaft, ich sage es noch einmal, gigantisch. Wir müssen alles tun, um sie zu erhalten." Dass selbst "alles" gelegentlich nicht ausreicht, weiß sie: "Diese Gegend hier ist geologisch unruhig", sagt sie und fährt fort: "Drüben, auf der linken Moselseite, setzt sich der Bruch, den wir hier sehen, fort. 1964 ist dort die wunderschöne ,Deiser Mühle' einfach vom Berg verschlungen worden." Von der Wassermühle, die vom Kelsbach angetrieben wurde, ist heute nichts mehr zu sehen. Auf der deutschen Seite der Mosel ragen noch immer die Sandsteinfelsen in die Höhe und zerbröseln langsam. Sie, die Margret Schmitt "gigantisch" nennt, könnten irgendwann einmal zu einer kleinen touristischen Attraktion werden - nicht nur im Sommer, wenn der Wanderweg hoch oben außer Naturfreunden auch "Dreckschleudern", die ihren Müll einfach ins Tal werfen, anzieht. Auch im Winter, bei knackigem Frost, hält diese Felsformation fantastische Fotomotive bereit, zum Beispiel die "Wasserorgel" - Eiszapfen aus dem gefrorenen Wasser vom "Leiterchen".

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