Eigentümliche Spannung

KANZEM. Mehr als fünf Wochen hat der Bildhauer Mic Leder einen Basaltstein am Eingang zum Kanzemer Friedhof bearbeitet. Jetzt wurde das Kunstwerk der Öffentlichkeit übergeben.

Viel größer kann ein Kontrast nicht mehr sein. Während die Sonne vom Himmel lachte und die Festgesellschaft leichte Kleidung trug und beste Laune zeigte, legte Bruno Plum Spruchbänder über den großen, nahezu schwarzen Basaltstein, der der Öffentlichkeit übergeben wurde. "Staub bist du" konnte man lesen, "Hinterlassenschaften", "Ende der Zeit" oder auch "Spuren hinterlassen". Wer sich unter den Gästen noch eben freizeitlich-unverbindlich eingefunden hatte, wurde jedenfalls mit Nachdenklichem konfrontiert. Catrin Steckers glänzende Klarinetten-Darbietungen - Strawinsky, Piazzolla und eigene Improvisationen - gaben gleichfalls wenig Anlass zu schwereloser Heiterkeit.Abdruck eines menschlichen Körpers

Man war bei der Übergabe von Mic Leders Skulptur eben nicht zum Spaß da. Roland Augustin vom Kulturverein "alte Schule" in Kanzem dankte dem ehemaligen Vereinsvorsitzenden Johann Peter Reinert für seine Arbeit und betonte dann in einer präzisen Deutung der Skulptur, wie stark diese vom Begriff des Zeitlichen lebt. Die Botschaft, die Mic Leder mit seiner Arbeit vermittelt, stimmt in der Tat nachdenklich. In den Stein hat er den Abdruck eines menschlichen Körpers eingearbeitet und diese Partien mit Politur hervorgehoben. Das Material, einst flüssige Lava, ist ein Symbol für Verfestigung. Und doch behält die unregelmäßige Naturform des neun Tonnen schweren Steins etwas Unregelmäßiges, Dynamisches. Zeitlichkeit und Vergänglichkeit sind gleichermaßen in ihm greifbar. Das ist für alle, die Kunst nur als Alltags-Arabeske ansehen, eine harte Nuss. Ortsbürgermeister Günter Frentzen versuchte, die divergierenden Ansichten zu versöhnen, warb für die spröde Einstimmigkeit der Klarinettenmusik ebenso wie für Mic Leders Skulptur. "Möge die Skulptur die Menschen, die sie betrachten, dazu anregen nachzudenken, welche Spuren dieser oder jener Mensch hier in unserem Dorf hinterlassen hat". Unter Leitung von Martin Biringer sang der MGV Kanzem danach "Die Gedanken sind frei". Mic Leders Skulptur strahlt eine eigentümliche Spannung zwischen Erstarrung und Dynamik, zwischen Ewigem und Vergänglichem aus. Am Eingang zum Friedhof und längs der Kanzemer Kirchstraße ist sie passend platziert. Finanziert wurde sie wesentlich durch eine hohe Spende aus einem Nachlass. Die Idee von Kunst im öffentlichen Raum ist jetzt realisiert worden - deutlicher jedenfalls als beim ersten, später verworfenen Projekt. Ursprünglich sollte für das Geld nämlich ein Flügel angeschafft werden.

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