"Gefühle musste man abstellen"

TAWERN. Als junge Menschen waren sie gemeinsam in russischer Kriegsgefangenschaft. Nun haben sich Anni Blumenthal, Grethe Müller, Hans Hintz und Rudolf Müller nach langer Suche in Tawern wiedergetroffen.

 57 Jahre nach den Schrecken in russischer Kriegsgefangenschaft sind sie wieder vereint: (von links) Rudolf Müller, Grethe Müller, Anni Blumenthal und Hans Hintz.Foto: Sandra Overwin

57 Jahre nach den Schrecken in russischer Kriegsgefangenschaft sind sie wieder vereint: (von links) Rudolf Müller, Grethe Müller, Anni Blumenthal und Hans Hintz.Foto: Sandra Overwin

Erinnerungen, gute wie schlechte, gehören untrennbar zum Leben jedes Menschen. "In schlechten Zeiten zusammen zu sein, verbindet einander und prägt", weiß Grethe Müller, die als 15-Jährige die Qualen russischer Kriegsgefangenschaft über sich ergehen lassen musste. Über die schrecklichen Erlebnisse mit Leidensgenossen sprechen zu können, bringe auch nach all den Jahren noch große Erleichterung, sagen die vier, die mittlerweile auf ein erfülltes Leben zurückblicken können.Die Initiative zu dem Treffen ging von dem gebürtigen Tawerner Rudolf Müller aus. Er war damals der Älteste der vier und musste mit ansehen, wie junge Mädchen von russischen Soldaten vergewaltigt wurde. Das sind Bilder, die er nie vergessen hat und die er immer noch verarbeiten muss.Verlaust und unterernährt

Psychologische Hilfe für die Kriegsgefangenen war nach ihrer Rückkehr kein Thema. "Ich habe ein Alter erreicht, in dem man sich wieder überwiegend mit sich selbst beschäftigt und habe immer wieder überlegt, was wohl aus den anderen Gefangenen geworden ist", erzählt der 73-Jährige.Mit Hilfe einer Suchanzeige beim Deutschen Roten Kreuz hat er 1996 zuerst Hans Hintz ausfindig gemacht, an dessen Namen er sich noch erinnern konnte und mit dem er sich seither regelmäßig trifft. Im vergangenen Jahr wurde Müllers Geschichte in der Zeitung "Das Ostpreußenblatt" veröffentlicht, was dazu führte, dass sich nach und nach auch noch vier Frauen bei ihm meldeten.Das Treffen mit Anni Blumenthal und Grethe Müller, das ein Erstes von vielen weiteren sein soll, war schnell organisiert, da beide Frauen inzwischen in der Eifel wohnen. Die Aufregung vor dem Wiedersehen nach fast sechs Jahrzehnten war groß. "Ich habe heute Nacht von Russland geträumt", erzählt Grethe Müller und auch die anderen bekunden, eine unruhige Nacht hinter sich zu haben. Die Erinnerung an eisige Kälte, Hunger und Dreck fällt auch heute noch schwer."Es ist unvorstellbar, in welchen Verhältnissen wir damals gehaust haben. Es gab kein Wasser zum Waschen, wir waren verlaust, unterernährt, hatten Ausschlag und Krätze", erinnert sich Anni Blumenthal. Alle vier waren damals einfach von der Straße weg verschleppt worden, haben ihre Familien erst nach Jahren und zum Teil nie mehr wiedergesehen.Das Denken habe man damals einfach aufgegeben, die Hoffnung auf eine Heimkehr aber nie verloren, sagt Anni Blumenthal. "Gefühle musste man abstellen, sonst wäre man eingegangen", sagt Rudolf Müller, der als Soldat und Gefangener oft hautnah mit dem Tod konfrontiert wurde.Das Wiedersehen in Tawern war aber trotz der schlimmen gemeinsamen Erlebnisse durchaus nicht geprägt von düsterer Stimmung. In gemütlicher Runde wurden Fotos und Erinnerungen ausgetauscht. Hans Hintz bringt die Vergangenheit dann auch ganz schlicht auf den Punkt: "Es war grausam, aber wir haben überlebt."

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