"Jede Minute ist ein Gewinn"

SCHODEN. 60 Jahre danach gibt es nur noch wenige, die den Zweiten Weltkrieg hautnah miterlebt haben. Rudolf Klein gehört dazu. Auch sein nach wie vor starkes Interesse an dem dunklen Kapitel der Geschichte belegt: Der Krieg hat das Leben des heute 80-Jährigen geprägt.

Rudolf Klein zählt nicht zu denen, die ihre Zeit hauptsächlich im Lehnstuhl verbringen. Auch wenn er den Tag etwas geruhsamer angeht als früher, gibt es für den erstaunlich vitalen 80-Jährigen immer etwas zu tun. Es scheint, als sei er zufrieden mit sich selbst und seiner kleinen Welt, dem Haus in der Schodener Gartenstraße, wo er zusammen mit Gattin Maria lebt. Seine Heimat kennt Rudolf Klein in- und auswendig. Er wurde in Schoden geboren und hat sich lange und intensiv mit der Geschichte der Saargemeinde beschäftigt. 1996 ist die zweite Chronik des Ortes, die aus Kleins Feder stammt, erschienen. Einen Großteil der darin wiedergegebenen Fotos und Dokumente hat er selbst gesammelt. Woher rührt das Interesse des rüstigen Mannes an der Vergangenheit? Eine Antwort: Rudolf Klein hat in jungen Jahren hautnah miterlebt, was die meisten nur aus Büchern kennen: den Zweiten Weltkrieg. Er erinnert sich: "An meinem 18. Geburtstag erhielt ich den Gestellungsbefehl." Das war 1942. Als junger Soldat kam er ins damals von deutschen Truppen besetzte Frankreich. Damit begann für ihn eine Zeit, die sein Leben prägen sollte. Der Dienst für das Vaterland führte ihn von Metz über Pont-à-Mousson in die Normandie. Knapp ein Jahr später wurde er an die Ostfront verlegt. "Acht Tage lang waren wir mit der Eisenbahn unterwegs." Zusammen mit 56 000 Kameraden wurde er wenige Monate vor Kriegsende von der Roten Armee, die sich auf ihrem Vormarsch nach Westen befand, im so genannten "Tscherkassy-Kessel" eingeschlossen. Eine lange Zeit des Bangens begann. "Mehr als die Hälfte der deutschen Soldaten konnte dem Inferno nicht entrinnen", berichtet Klein - auch nach über sechs Jahrzehnten nicht ohne Emotionen. Er hatte Glück und floh mit einem Pferdewagen und vier verwundeten Kameraden, die er "um keinen Preis" zurücklassen wollte. Das Kriegsende erlebte er in der Nähe von Danzig. "Noch heute habe ich die Worte unseres Kommandeurs, der die Kapitulation verkündete, im Ohr", sagt Klein. Jubel habe es jedoch kaum gegeben. Im Gegenteil: "Uns war klar, dass all die Leiden und der Verlust vieler Kameraden vergebens waren." Auch die Aussicht auf die Zukunft habe wenig Anlass zur Freude gegeben. "Am Pfingstsamstag sind wir hinter den Stacheldraht marschiert.""Verlorene Zeiten" in Ruhe niedergeschrieben

Drei Jahre verbrachte Rudolf Klein in russischer Gefangenschaft, bevor er im Juli 1948 entlassen wurde. Einen Monat später stand der damals 23-Jährige nach fünf Jahren und drei Monaten in der Ferne vor dem Elternhaus. "Das Dorf kam mir fremd vor, es hatte sich viel verändert." Der Freude über das Wiedersehen mit der Mutter folgte die Trauer über den Verlust des mittlerweile verstorbenen Vaters. In den Jahren danach arbeitete Klein im landwirtschaftlichen Betrieb der Eltern. Später machte er eine Ausbildung zum Wachtmeister, und bis zu seiner Pensionierung vor rund 20 Jahren war er bei der Polizei-Inspektion Trier tätig. Seine Kriegserlebnisse hat der 80-Jährige in einem Tagebuch festgehalten. Der Titel: "Verlorene Zeiten". Ein Gewinn ist für Rudolf Klein hingegen jede Minute, die er heute zusammen mit Ehefrau Maria in dem Haus in Schoden verbringt - wohl wissend, dass ein friedliches und ruhiges Leben etwas ganz Kostbares ist.

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