Jeden Tag zum Ende der Welt

WELLEN. Zeit ist auch für Nikolaus Huber ein kostbares Gut – mehr als 200 Armbanduhren aller Formen und Farben erinnern den 72-Jährigen fast täglich daran. Wohl nicht zuletzt deshalb hat der rüstige Wellener nahezu jede Minute des Tages verplant.

 Seine große Leidenschaft ist, alten Uhren wieder Leben einzuhauchen: Nikolaus Huber mit einem Teil seiner Schätze. Foto: Hermann Pütz

Seine große Leidenschaft ist, alten Uhren wieder Leben einzuhauchen: Nikolaus Huber mit einem Teil seiner Schätze. Foto: Hermann Pütz

Mit Wehmut denkt Nikolaus Huber an den Tag zurück, als das "Wahrzeichen" von Wellen - der weithin sichtbare Hochofenkomplex des Kalkwerks - nach einer Sprengung in einem gigantischen Haufen Schutt versank. Der Grund: Das imposante Bauwerk stand lange Zeit als Synonym für die Ernährung zahlreicher Familien. Bis zu 300 Beschäftigte zählte der nicht nur weithin sichtbare, sondern auch im ganzen Ort und darüber hinaus hörbare Industriebetrieb. "Heute sind es gerade einmal knapp 40 Leute", berichtet Huber, der einen Großteil seines Lebens tief im Berg verbrachte, um bei teilweise halsbrecherischer Arbeit den begehrten Kalkstein ans Tageslicht zu fördern. Der technische Fortschritt machte in den vergangenen Jahrzehnten viele Arbeitsplätze zunichte. Seit 1987 ist der rüstige 72-Jährige im Ruhestand. An seine Zeit unter Tage erinnert er sich stets gerne zurück. "Es war Knochenarbeit", sagt er, und zweimal habe ihn der Job fast das Leben gekostet. Einmal habe er mit einem Kumpel eine Sprengung vorbereitet. Plötzlich sei der Stollen auf mehreren hundert Quadratmetern zusammengebrochen. Tausende Tonnen von Gestein hatten sich gelöst. Dass die beiden überlebten, sei nur einem Umstand zu verdanken gewesen: "Wir machten gerade Frühstückspause und waren nicht am Ort des Geschehens." Den Tag lassen der gebürtige Wellener und Ehefrau Katharina auch heute noch keineswegs geruhsam angehen. "Spätestens um 6.30 Uhr sind wir auf den Beinen." Ums Haus und im Garten gebe es immer etwas zu tun. Wenn Zeit dazu ist, macht sich Nikolaus Huber sogar noch früher auf die Beine, um eines seiner größten Hobbys zu betreiben: das Angeln. Stolz berichtet er: "Im Jahr 2003 habe ich insgesamt rund anderthalb Zentner gefangen." Spricht er dabei möglicherweise Anglerlatein? Übertreibt er vielleicht auch, wenn er sagt, er besitze mehr als 200 Armbanduhren? Keineswegs, denn nach und nach holt Huber Plastikkisten mit zahllosen Zeitmessern fürs Handgelenk aus dem Esszimmerschrank. "Die funktionieren alle", verkündet er. Hauptsächlich auf Trödelmärkten habe er die Uhren erstanden. Es sei seine große Leidenschaft, die scheinbar wertlose Miniaturtechnik wieder in Gang zu setzen. Mittlerweile habe sich sein handwerkliches Geschick in Wellen sogar zu einer Art Geheimtipp gemausert. "Regelmäßig stehen Leute vor meiner Tür, um mich zu bitten, ihr Zeiteisen wieder auf Vordermann zu bringen." Auch wenn der Terminkalender von "Huber-Nikki", wie er von einigen Wellenern genannt wird, fast keine Lücke aufweist, lässt er sich doch eines nicht nehmen: "Der tägliche Spaziergang mit meiner Frau zum ‚Ende der Welt' - einem Aussichtsplatz in den Wellener Weinbergen."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort