Kein Zuckerschlecken im Westen

FREUDENBURG. Sie kommen aus Sibirien, Kasachstan oder der Ukraine, und fast alle erhoffen sich in Deutschland Glück und Wohlstand. Doch für die meisten Spätaussiedler sind die ersten Monate in der Fremde alles andere als einfach. Zwischen Sprachproblemen und Heimweh leben sie in so genannten Übergangswohnheimen. Eines davon steht in Freudenburg.

Erst auf den zweiten Blick hebt sich das Gebäude, das einige Meter abseits der Hauptstraße steht, von der typischen Architektur hiesiger Winzer- und Bauernorte ab. Nur die schlichte Fassade und das zusätzliche zweite Stockwerk verraten den Nutzbau: Das 1928/29 als Schwesternheim errichtete Gebäude beherbergt seit 1989 ein Übergangswohnheim für Spätaussiedler des Caritasverbandes für die Region Trier. Derzeit leben in dem fast voll besetzten Haus 54 Menschen, bis zu sechs teilen sich ein Zimmer. Pro Etage gibt es eine Küche, ein Bad und eine Toilette. Ein Viertel der Bewohner sind Kinder und Jugendliche. Für die sei die Situation besonders schwierig, sagt Dorothee Schramm, Projektleiterin Ausländer und Asyl des Caritasverbandes. Oft würden die Eltern ihrer Kinder wegen den Weg in den Westen wagen, doch die gäben nur ungern ihre Freunde und vertraute Umgebung für eine ungewisse Zukunft auf. Zumal sie im vermeintlich gelobten Land zwischen Mosel und Oder in aller Regel Kontaktschwierigkeiten und Schulprobleme erwarten.Sprachbarriere erschwert Kontaktaufnahme

Vor allem Sprachschwierigkeiten seien es, die die Integration der Jugendlichen erschwerten, sagt Simone Arends, die zusammen mit ihrer Mutter Elfriede Aussiedlerkinder lange bei den Hausaufgaben betreute. "Die Zahl derer, die keinerlei Deutschkenntnisse und keinen Anspruch auf einen Sprachkurs haben, steigt", bestätigt Schramm. Den hätten nämlich nur Erwachsene und selbst von denen nicht alle. "Es wäre das Beste, die Kinder ein halbes Jahr lang nur in Deutsch zu unterrichten." So fänden die jungen Spätaussiedler nur schwer Anschluss - sowohl in der Schule, als auch in Vereinen oder bei Gleichaltrigen. Statt dessen säßen sie nur auf ihren Stuben. "Die jungen Leute sind frustriert", erklärt Schramm. So würden sie anfällig für Alkohol und Drogen. Sie weist aber auch darauf hin, dass es sich bei den straffällig gewordenen Spätaussiedlern um Einzelfälle handele. In Freudenburg gäbe es derartige Probleme überhaupt nicht, erklärt Heimleiterin Regina Maas. Auch der "landläufigen Meinung, die Spätaussiedler kriegen hier alles", will sie entgegen treten. Sie bekämen ein halbes Jahr maximal 560 Euro im Monat an Eingliederungshilfe, sagt Schramm. Von der müssten sie dann aber auch noch ein "Benutzerentgelt" an die Caritas entrichten - für ihre Zimmer. Ansonsten bezögen sie lediglich Sozialhilfe. Denn bei der gegenwärtigen Wirtschaftslage sei es gerade für Spätaussiedler, die in ihrer Heimat meist Handwerker und Bauern waren, schwer, Arbeit zu finden. "Manche geben bei Bewerbungen an, Schweinezüchter oder Fernheizer zu sein", sagt Caritas-Betreuer Josef Breit. Doch die Anforderungen deutscher Betriebe seien oft zu hoch für die Spätaussiedler. Durchschnittlich rund zwei Jahre verbringen sie deshalb im Freudenburger Übergangsheim, ehe sie einen Job und damit die Chance auf eine Wohnung bekommen. Glück und Wohlstand sind auch im gelobten Land nicht mehr allgegenwärtig.

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