Lesung in Saaburg: Ex-Neonazi ist heute Theologe - Im Knast zum Glauben gefunden

Saarburg · Der Ex-Neonazi und heutige freie Theologe Johannes Kneifel liest in Saarburg aus seinem Buch "Vom Saulus zum Paulus". Obwohl er seine Läuterung im Gefängnis erlebte, kritisiert er das Justizsystem scharf.

 Johannes Kneifel erzählt von seinem steinigen Weg zum Glauben. TV-Foto: Katharina Hahn

Johannes Kneifel erzählt von seinem steinigen Weg zum Glauben. TV-Foto: Katharina Hahn

Foto: (h_sab )

Johannes Kneifel hat einen Menschen getötet. Er schlug und trat auf sein Opfer ein, das am nächsten Tag infolge der Verletzungen im Krankenhaus starb. Heute arbeitet Johannes Kneifel als freier Theologe in Regensburg. Die Geschichte seiner zwischenzeitlichen Läuterung gibt er weiter, er erzählt sie in Predigten, an Schulen, in Haftanstalten und im Rahmen des fünften Saar-Hunsrück Literatur und Musikfestivals in der Kulturgießerei Saarburg.

Kneifel ist ein Mann des Glaubens und zeigt das auch. Er trägt ein silbernes Kreuz um den Hals und eine schwarze Schirmmütze auf dem Kopf, die in großer Schrift das englische Wort faith, zu Deutsch Glaube, sowie eine weiße Friedenstaube ziert. Er wirkt entspannt, selbstsicher und ist wortgewandt. Im Interview mit Brigitte Nehmzow, der zweiten Vorsitzenden des Vereins Literatur-on-tour Saar-Hunsrück, der das Festival organisiert, erzählt er ohne Umschweife von den pervertierten Werten, die ihm als rechte Neonazi-Gesinnung einen dunklen Weg ebneten. Ein isolierter, in sich gekehrter Jugendlicher, der sich schon immer nur durch Prügeleien Ansehen verschaffen konnte, findet plötzlich in rechtsextremen Parolen ein neues Ziel, endlich einen Sinn im Leben.

Als er nach der folgenschweren Gewalttat schließlich im Knast landet, sind es zu seiner großen Überraschung aber Menschen aus fremden Ländern, Menschen mit anderen Hautfarben, die zu seinen Freunden werden, die ihm Bücher in die Isolationszelle schmuggeln und zu Weihnachten ihre Tüten voll Süßigkeiten mit ihm teilen. Als dann in einem Gefängnisgottesdienst Gott zu ihm spricht, ist der neue Weg klar. Johannes Kneifel kniet in seiner Zelle vor einem Gott nieder, der ihm die Vergebung verspricht, die von den Behörden um ihn herum nicht zu erwarten ist.

Nicht von den Polizisten, die ihn wie ein Stück Vieh ins Gefängnis gekarrt haben, nicht vom Richter, der ihn keines Blickes gewürdigt hat, nicht von den Gefängnisleitern, die ihn nur als eine Akte sehen. Als er schließlich entlassen wird, holt er sein Abitur nach und studiert Theologie. All das erzählt er den knapp 60 Besuchern in der alten Gießhalle mit der gewissen Distanz und Abgeklärtheit eines Menschen, der diese Geschichte schon viele Male erzählt und auf diese Fragen schon viele Male geantwortet hat.

Als er dann aber aus dem Buch liest, ist die Veränderung spürbar. Er wird leiser, bedächtiger, muss oft schlucken und längere Pausen machen, fast so, als müsse er sich zum Weiterlesen überreden und dazu, sich so direkt mit seinen damaligen Gedanken zu konfrontieren. Im Publikum haben gleichzeitig viele Zuhörer die Augen geschlossen, als würden sie konzentriert und angestrengt versuchen, den Mann im Buch mit dem Mann vor ihnen in Einklang zu bringen.

Er hat seine Biografie all jenen gewidmet, die ihn immer als Menschen gesehen und nicht aufgegeben haben, und meint damit sicherlich nicht das deutsche Justizsystem, das er im Rahmen der Lesung scharf kritisiert. Aus seiner Sicht sollte der "Betonsarg Jugendknast" abgeschafft und die Begegnung zwischen Tätern und Opfern erleichtert werden, um einer Entmenschlichung entgegenzuwirken.

Denn genau das sei der Schlüssel, was ihm von der Gesellschaft genommen und von der Religion wiedergegeben wurde: die Menschenwürde.

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