Mit einem Lied auf den Lippen ins 100. Jahr

Kanzem · Wenn er ruft, kommen sie alle. Nikolaus Hengel ist ein Kanzemer Urgestein. Hunderte Menschen haben ihm zu seinem Ehrentag in der Alten Schule in Kanzem gratuliert. Sie zeichnen mit vielen Anekdoten das Bild eines lebenslustigen und fürsorglichen Mannes mit unglaublichem Gedächtnis.

Kanzem. Schon am Ortseingang weht ein Banner mit der Aufschrift: "Die Gemeinde Kanzem gratuliert Nikolaus Hengel zum 100. Geburtstag". Spätestens da ist klar: Hier ist nicht nur die Zahl 100 eine Besonderheit, sondern auch der Jubilar selbst. Nikolaus Hengel, von den meisten nur Klaus oder Paulus' Klees genannt, gehört zu Kanzem wie die Porta zu Trier.
Einfühlsame Integrationsfigur


Entsprechend platzt die Alte Schule während der Feierstunde aus allen Nähten. In dem großen, festlich geschmückten Raum haben sich Menschen von überall aus der Region versammelt. Nicht nur ganz Kanzem inklusive Hengels Sohn Klaus, seinen zwei Enkeln und den zwei Ur-Enkeln scheint auf den Beinen zu sein. Auch aus Wawern, Nittel, Heilbronn und Geisenheim im Taunus-Kreis sind Gratulanten angereist, um zwischen Kuchen und Ballons Schlange zu stehen und das Kanzemer Original zu einem ereignisreichen Jahrhundert zu beglückwünschen.
Schon immer hat sich Nikolaus Hengel vielfältig für sein Dorf und das Wohl der Bewohner eingesetzt. Nach seinem Vater und seinem Bruder war er der letzte Dorfschuhmacher in Kanzem und hat gelegentlich auch die Gemeindepost ausgetragen. Heute verteilt er zwar keine Briefe mehr, dafür aber gute Ratschläge. Waltraud Steier kennt Paulus' Klees seit Jahren und erinnert sich gerne zurück an viele herzliche Gespräche. "Er ist wahnsinnig feinfühlig und hat mir mit seiner unaufdringlichen Art über den Verlust meines Mannes hinweggeholfen. Das ist echte menschliche Anteilnahme und nicht nur Smalltalk", sagt sie. Jeden Tag dreht Hengel eine Runde mit seinem Rollator, spricht mit den Leuten, hört ihnen zu und fragt, was es Neues gibt. Oder er sitzt auf der Bank vor dem Haus der Nachbarin mit einer seiner vier "Bankfrauen", wie diese sich selbst nennen, und hält unterm Sonnenschirm ein kleines Schwätzchen. Bei solchen Gelegenheiten berichtet er gerne über Neuzugezogene und erleichtert so deren Integration in die Dorfgemeinschaft. Der ehemalige Kanzemer Ortsbürgermeister Dirk Burdjak erinnert sich: "Klaus hat uns damals allen vorgestellt und dann sind ganz schnell die Leute auf uns zugekommen. ‚Ach, Sie sind doch die Nachbarn vom Klaus', und schon waren wir mitten im Dorfleben angekommen". Er vermittelt auch zwischen Jung und Alt. "Die Kinder auf der Straße rufen ‚Onkel Klaus' und winken ihm. Dann holt er sie zu sich und singt ihnen etwas vor", berichtet Hengels Cousine Maria Müller. Dass ihm das Singen heute noch wie vor 70 Jahren im Blut liegt, stellt er während der Feier eindrucksvoll unter Beweis. Nach der Rede des Konzer Bürgermeisters Karl-Heinz Frieden stimmt der Jubilar fünf Strophen eines alten Liedes aus der Kaiserzeit an, was wohl alle Anwesenden staunen und über die eigene Gedächtnisleistung in einem ähnlich biblischen Alter spekulieren lässt. Neben Frieden und Helmut Reis, dem Beigeordneten des Kreises Trier-Saarburg, zählen auch der Ortsgemeinderat Kanzem samt Ortsbürgermeister Johann Peter Mertes zu den Gratulanten.
Ehrenbürger mit Urkunde


Letztgenannter hat Nikolaus Hengel im Rahmen der Feier die Ehrenbürgerwürde verliehen. Außerdem erhielt der Jubilar eine Urkunde der Freiwilligen Feuerwehr für seine 75-jährige Mitgliedschaft. Zudem wird sein besonderer Geburtstag künftig - wie andere Jubiläen auch - mit einer Tafel mit Foto und Namen im philosophischen Garten in Kanzem gewürdigt.
Auf die Frage nach dem Geheimnis seines langen und erfüllten Lebens antwortet Nikolaus Hengel schmunzelnd: "Ich habe schon jeden Tag mein Gläschen Wein getrunken und mich immer viel mit den Leuten unterhalten. Für mich gibt es keine Traurigkeit. Ich gehe auf jeden Menschen zu und versuche, ihn wieder fröhlich zu stimmen, wenn es ihm schlecht geht." Von Traurigkeit ist bei dem Empfang in Kanzem keine Spur. Die Geburtstagsfeier zeigt eine Dorfgemeinschaft, die einem ihrer engagiertesten Mitglieder etwas zurückgeben möchte und dabei wie eine große Familie wirkt, die in Nikolaus Hengel, der mit 100 Jahren noch flotte Sprüche klopft, ihren Mittelpunkt hat. Klaus Hengel Junior bezeichnet seinen Vater nicht umsonst als seinen "Kameraden und besten Freund". Und das ist wirklich ein Grund, um fröhlich zu sein und Banner zu spannen.

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